Ich zeige klare Anzeichen von Internetsucht. Aber diesem Schicksal will ich mich nicht ergeben. Darum präsentiere meine extrem wirksamen Maßnahmen gegen die Internetsucht.
Die Medien und besonders das Internet sind heute das Opium fürs Volk: Sie überfluten unsere Hirne mit immer mehr belanglosen Inhalten, sodass wir darin keine Kapazitäten mehr darin frei haben, um selbst etwas zu erleben und anschließend darüber nachzudenken – geschweige denn etwas von Wert zu schaffen oder uns zu solidarisieren.
Natürlich, wir sitzen den ganzen Tag vor Bildschirmen und produzieren auch fleißig irgendwas, schließlich wollen wir ja individuell, klug und kreativ sein. Aber das Meiste davon ist letztlich auch nur weiteres belangloses Zeug, das den Nächsten für einen kleinen Moment in seinen Bann zieht, nur um sich dann wieder in Bedeutungslosigkeit aufzulösen.
Die Befriedigungen durch diese kurzweilige Ablenkung auf der einen Seite und diese Pseudo-Kreativität auf der anderen sind nichts wert: Sie locken und schmeicheln uns für einen Moment, lassen uns am Ende aber leer und einsam zurück.
Stringente Selbstkritik
Meine Kritik kommt nicht von ungefähr, sie beruht auf Selbstbeobachtung: Ich sehe, dass ich immer öfter und länger an Handy und Rechner hänge. Die Technik ist zu meinem stetigen Begleiter geworden. Mit SPIEGEL Online stehe ich auf, mit Facebook und WordPress gehe ich durch den Tag und abends entspanne ich mit der ARTE Mediathek, wenn ich nicht wieder vor SIEGEL Online, Facebook oder WordPress sitze. Und nebenbei chatte ich noch in Whatsapp.
Mein Verhalten kam nicht von heute auf morgen. Ich weiß noch, wie ich mich als Teenager vor dem PC langweilte, wenn ich mit dem Onanieren fertig war und sich niemand im ICQ-Chat herumtrieb. Erst durch den Kauf eines Laptops veränderte sich mein Nutzungsverhalten grundlegend. Und seit ich ein Smartphone habe, explodieren gefühlt meine Online-Zeiten.
Klares Suchtverhalten
Eine bestimmte Beobachtung hat mich zum dem Schluss geführt, dass ich bei mir von Internetsucht sprechen muss. Ich war mal Raucher. Nicht sehr lange, dafür aber relativ heftig. Phasenweise bin ich mit einer Schachtel am Tag nicht ausgekommen. Das war mir auch damals schon zu viel, vor allem, weil ich von allen Zigaretten des Tages nur zwei oder drei mit Genuss geraucht habe. Den Rest aus Reflex, Langeweile, also Sucht.
Dasselbe Verhalten beobachte ich nun bei meiner Internetnutzung. Oft starte ich den Laptop ohne Anlass, aus Langeweile. Dann rufe ich ohne Bedacht erst mal SPIEGEL Online auf und lese, was mich anspringt, ganz egal, ob ich ein Grundinteresse für das jeweilige Thema aufbringe oder nicht. Wird SPIEGEL Online langweilig, gucke ich, was auf Facebook so geht. Auch davon interessiert mich im Grunde nichts.
Diesen Akt wiederhole ich mehrmals täglich und, seit ich ein Smartphone habe, auch außer Haus. Sogar meine Mails rufe ich mittlerweile zwischendurch auch mit dem Handy ab, dazu habe ich kürzlich die WordPress- und Twitter-Apps installiert. Auch diese starte ich mehrmals täglich ohne Anlass und auch ohne Ergebnis, denn meistens ist in der Zwischenzeit überhaupt nichts passiert. Etwas Wichtiges schon gar nicht.
Schluss mit der Internetsucht
Wie man sieht, leugne ich nicht meine Eigenverantwortung. Aber die ganzen Smartphone-Zombies auf der Straße zeigen: Es gibt auch eine systematische Ebene des Problems. Seit ich mit der Medienbranche zu tun habe, wird mir nämlich immer klarer, dass man genau so sein soll: Süchtig nach Informationen genauso wie nach Aufmerksamkeit.
Für mich sind die Medien daher mittlerweile Fluch und Fluch zugleich: Als Rezipient werde ich wie jeder andere rücksichtslos mit ihrem Müll überhäuft, als Produzent muss ich nun lernen, selbst solchen Müll zu kreieren und in die Hirne zu bringen.
Meine Maßnahmen
Aber weil ich nicht als völlig überreiztes, degeneriertes Subjekt enden will, das keinen klaren Gedanken mehr fassen kann und nur noch Luftblasen von sich gibt, rudere ich jetzt zurück.
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Kein Handy-Internet mehr
Wie beim Rauchen geht es auch mit dem Internet auf dem Handy wohl nur in der Schwarz-weiß-Version: Ganz oder gar nicht. Also habe ich erst alle unnötigen Apps gelöscht und dann das Internet deaktiviert. Auch Whatsapp ist damit weg vom Fenster, die SMS feiert ihr großes Comeback. Alle Online-Apps wie das Navi, die man im Notfall gebrauchen kann, habe ich zumindest vom Startbildschirm verbannt. Endlich kann ich mein Hintergrundbild auch sehen!
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Der Laptop bleibt auf dem Schreibtisch
Schwieriger als mit dem Handy wird es mit dem Laptop. Er ist nun mal fürs Online-Sein da. Doch die Mechanismen der Sucht scheinen mir dieselben zu sein: Vor allem die ständige Nähe ist die Gefahr. Also ist meine zweite Maßnahme, das Teil in Zukunft auf dem Schreibtisch stehen zu lassen. Das macht auch deutlich, was man meiner Meinung nach am PC vor allem tun sollte: arbeiten – und zwar solange, bis man fertig ist und frei hat.
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Internet bewusst nutzen
Auch dem bedachtlosen Surfen will ich mich künftig versperren. Wenn ich keinen konkreten Anlass habe, den PC anzumachen, will ich ihn aus lassen. Wenn mir tatsächlich langweilig ist, will ich mir erst mal Offline-Alternativen überlegen, bevor ich auf Online-Unterhaltung zurückgreife.
Anderes Online-Verhalten
Gut, selbst wenn der PC vor allem zum Arbeiten da ist und man ihn bewusster nutzt, sitzt man zwangsläufig noch sehr häufig davor. Die Welt von heute dreht sich nun mal digital. Aber auch hier gibt es Stellschrauben:
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E-Mails einmal am Tag checken
E-Mails kommen und gehen heute inflationär, aber muss man ihnen deswegen dermaßen viel Aufmerksamkeit schenken? Wo steht, dass man diese schriftliche Kommunikation nahezu in Echtzeit abwickeln muss. Es reicht doch, seine Mails einmal am Tag, vielleicht sogar nur ein paar Mal die Woche zu checken und zu beantworten.
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Back to Print
Wie die meisten ist SPIEGEL Online mein Standard-Informationsmedium. Jetzt nicht mehr! Denn die Nachrichtenfrequenz auf SPON kann ich nur noch als irremachend bezeichnen. Außerdem werden selbst auf diesem onlinejournalistischen Flaggschiff immer mehr irrelevante Themen marktschreierisch verbreitet. Darum werde ich SPIEGEL Online fortan meiden und stattdessen wieder abends die Nachrichten gucken. Und für Hintergrundberichte werde ich in Ruhe in ausgesuchte Printmedien wie die ZEIT, die SÜDDEUTSCHE oder den SPIEGEL schauen, wenn mir danach ist.
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Schreiben im Flugzeugmodus
Trotz allem: Wer viel schreibt, sitzt zwangsläufig viel am PC. Da besteht immer die Gefahr, auch jede noch so kleine Verschnaufpause zur Online-Zerstreuung zu nutzen. Selbst ohne Nachrichten-Portale gibt es ja noch genug Wege, sich im Netz zu verlieren. Aber auch hiervon ist das meiste am Ende Unsinn gewesen. Deshalb will ich nun im Flugzeugzeugmodus schreiben und das Internet nur anmachen, wenn ich etwas recherchieren oder hochladen muss. Auch wenn diese Hürde fiktiv ist, ist sie eine Warnung an mich selbst, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Text.
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Facebook meiden
Zeitkiller Nummer 1 dürfte für die meisten Facebook sein. Bei mir hält es sich damit noch einigermaßen in Grenzen, weil mich Facebook eigentlich immer nur langweilt. Aber genau deswegen ist die Zeit, die ich dem weißen F unterm Strich doch opfere, erst recht zu lang. Also meide ich Facebook ab jetzt. Über das Wichtigste lasse ich mich nun per Mail benachrichtigen und der Rest kümmert mich fortan nicht mehr. Und wenn ich selbst den Drang verspüre, etwas sensationell Witziges zu teilen, versuche ich es mir zu verkneifen oder, wenn das misslingt, es zumindest danach direkt wieder zu vergessen und nicht noch auf Reaktionen zu warten.
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Startseite weg, Favoriten weg
Ein Trinker wird sich hüten, Likör für seine Gäste ins Regal zu stellen oder seine Abende in Kneipen zu verbringen. Genauso muss man auch in Sachen Internet-Konsum denken. Alles, was greifbar ist, verführt zum Zugriff. Darum habe ich auch meine Startseite gelöscht und lasse mir in meinem Browser meine Favoriten nicht länger dauernd anzeigen. Diese Maßnahme mag skurril wirken, aber wie die anderen soll sie keine Verteufelung der digitalen Welt darstellen, sondern mir lediglich vor Augen halten, dass es reicht, das zu nutzen, was man von sich aus nutzen will. Kurz: Es soll das aktive Handeln fördern.
Sehr gut. Ebenso tue ich es ähnlich seit einiger Zeit. Dazu kommen: Spaziergänge mit dem Hund, ohne Handy. Rausgehen am Abend, ohne Handy. Treffen mit Freunden, ohne Handy. Manchmal fehlt es für einen Schnappschuß zwischen durch. Dennoch. Das Bild was sich in manchen Läden abends bietet, ist mehr als fragwürdig. Wie können Menschenmengen abends in einem Laden alle auf ihr Smartphone starren, anstatt sich zu unterhalten. Hilfe …
Hört sich gut an. Ich habe mir vorgestern eine Armbanduhr zugelegt, um die Uhrzeit wieder ohne Handy in Erfahrung bringen zu können.
So hoffe ich, eine Uhr ohne Wlan, sondern eine mit Zeiger 😉
Ja, aber zum Aufziehen ist sie nicht.
Musste da heute Morgen doch echt dran denken. Da fuhr ich an einer Haltestelle vorbei. Sieben einzelne Personen (hab sie extra gezählt), standen alleine dort. Jeder einzelne von ihnen, echt, ohne scheiß, schaute hinab auf sein Handy …. ohne Worte.
Back to the roots. Ich mach mein Wlan nun auch immer unterwegs aus 😀
Schön, wenn die eigenen Worte reale Effekte haben!
Ich kann nur sagen: Internet auf dem Handy fehlt mir kein bisschen. SPIEGEL Online lesen übrigens auch nicht. Im Gegenteil, immer wenn ich den Reflex verspüre, mal eben SPON aufzurufen, weiß ich, dass ich eigentlich nichts mehr am PC zu tun habe.
Max, Hut ab, du bist echt auf den richtigen Weg des vernünftigen Entzugs 🙂
seit ein paar Wochen benutze ich FB nicht mehr. Je weniger ich drin bin, umso weniger habe ich überhaupt Lust, mich da aufzuhalten. Es fehlt mir kein bisschen obwohl ich jeden Tag damit zubrachte und es morgens das Erste war, was ich aufrief. Überhaupt gucke ich nur noch Filme im Netz. Vielleicht hört das auch irgendwann auf. Besonders im Sommer gibts draußen viel Besseres zu tun. Mit meinem Sohn Federball spielen, mit fremden Leuten im Park sprechen, Blumen auf dem Balkon gießen. Ach so: die frei gewordene Zeit lese ich wieder Bücher. Obwohl das nicht sehr viel kommunikativer ist.
Danke jedenfalls für die Anregungen. Die sind sehr gut und hilfreich.