… im Vergleich mit dem Schluss des Romans „Der Fremde“
Murmeln in der Todeszelle
1. Einleitung
„Als hätte diese große Wut mich vom Bösen geläutert, von Hoffnung entleert, öffnete ich mich angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum erstenmal der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt.“[1] Zwei Sätze später endet Albert Camus‘ berühmter Roman Der Fremde und uns ist klar, dass dieser Schluss auch ein Anfang sein muss. Doch was fängt hier für Meursault[2] mit dem erstmaligen Erleben „der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt“ an? Ist es das absurde Leben, so wie es Camus im Mythos des Sisyphos beschreibt? Dieser Frage möchte ich in meiner Arbeit nachgehen. Dafür ist eine ausführliche Darstellung des Absurden notwendig, die ich in Kapitel 2 geben werde und bei der ich mich eng an Der Mythos des Sisyphos orientieren werde, da Camus in diesem Essay eine systematische Beschreibung liefert und die Konsequenzen des Absurden aufzeigt[3]. Eine bessere Quelle kann es also nicht geben. Im Anschluss daran werde ich auf Grundlage der Ergebnisse untersuchen, in wie weit der Schluss von Der Fremde dieses Bild des Absurden widerspiegelt.
Von den drei Werken, in denen Camus seinen Begriff des Absurden entwickelt – neben den beiden bereits genannten gehört das Theaterstück Caligula zu dieser Trias – hat er Der Fremde als erstes fertiggestellt und veröffentlicht.[4] Obwohl es somit chronologisch vor Der Mythos des Sisyphos steht, stellt sich bei seiner Betrachtung heute dennoch die Frage, in wie weit der Mythos durch die in ihm gegebene Theorie des Absurden zur Deutung des Romans herangezogen werden darf. Wie eng ist der Zusammenhang der beiden Texte und darf man sich überhaupt auf eine gemeinsame Deutung einlassen?
In der Forschung existiert dazu zwar keine einhellige Meinung, aber es lässt sich eine Tendenz zu einer gemeinsamen Interpretation ausmachen. So sieht Sartre im Mythos eindeutig „den Kommentar“ zu Der Fremde und scheut sich in seiner Interpretation von 1943 nicht, beide Texte direkt aufeinander zu beziehen.[5] Er begründet seine Einschätzung sowohl durch inhaltliche Parallelen, wie auch durch den Stil und die formale Struktur von Der Fremde, in welchen sich die Thesen des Mythos des Sisyphos wiederspiegelten. Ähnlich argumentieren die meisten Interpreten. Schmidhäuser etwa widmet der Begründung, warum sich die Gedanken „des Mythos“ auf „den Fremden“ beziehen lassen, ein ganzes Kapitel.[6] Auch Rings findet in Der Fremde offenkundige Ableitungen „von philosophischen Betrachtungen im Mythe de Sisyphe“[7], wobei er sich in seiner Einschätzung auf einen Aufsatz von Krauss beruft, in dem jener den Roman psychoanalytisch mit einem dreistufigen Entwicklungsmodell von C. G. Jung erfasst.[8]
Gegen einen Bezug von Der Fremde auf Der Mythos des Sisyphos spricht sich Fleischer aus[9], obwohl sich mutmaßen lässt, dass auch sie sich eingehend mit Camus‘ Gedanken aus dem Mythos bekannt gemacht hat. Schließlich stammt der in ihrer Interpretation viel gebrauchte Begriff „das Absurde“ letztlich aus diesem Text. In Der Fremde taucht lediglich an einer Stelle der Ausdruck „dieses absurde Leben“ auf[10]. Auf weitere Gegner einer gemeinsamen Deutung verweist Krauss.[11] Camus selbst hingegen sieht einen klaren Zusammenhang zwischen Der Fremde, Der Mythos des Sisyphos und Caligula, wobei ihr thematisches Bindeglied das Absurde ist. Ein Tagebucheintrag vom 21. Februar belegt diese These.[12] Außerdem äußert er sich im Mythos ausführlich zum Zusammenhang zwischen Roman und Philosophie. Dabei macht Camus deutlich, dass er keinen Gegensatz zwischen Kunst und Philosophie anerkennt, sondern im Gegenteil der Ansicht ist, dass beide Disziplinen gleichermaßen dem Verständnis und der Liebe dienen und sich dadurch „durchdringen“.[13]
Ein eigenes Urteil lässt sich in dieser Debatte freilich erst durch eine eigene Untersuchung treffen. Ich gehe dabei von zwei unabhängigen Texten aus und beginne entgegen der Chronologie mit der Darstellung des Absurden im Mythos des Sisyphos. Danach wird Der Fremde betrachtet werden und sich zeigen, ob Parallelen vorhanden sind. Ohne etwas in ihn „hineinzulesen“ wird sich zeigen, ob auch der Leser „des Fremden“ zum „Zuschauer [eines] unmenschlichen Spiels, bei dem das Absurde, die Hoffnung und der Tod Rede und Gegenrede wechseln“[14] wird. Wo hilfreich, werde ich auf die oben genannten Autoren zurückgreifen.
2. Das Absurde
2.1 Zum Begriff
„Das Absurde entsteht aus [dem] Zusammenstoß zwischen dem Ruf des Menschen und dem vernunftlosen Schweigen der Welt“[15] – so lautet die wohl berühmteste Definition, die Albert Camus in seinem Essay Der Mythos des Sisyphos zum Begriff des Absurden gibt. Viele weitere ließen sich anfügen[16]. Ihnen allen gemein ist die Tatsache, dass es sich beim Absurden um eine Kluft handelt, die der vernunftbegabte Mensch nicht überbrücken kann. Aus seiner naiven Verbundenheit mit der Welt gerissen, erkennt er die Differenz zwischen seinem Ich und der ihn umgebenden Welt, welche er fortan nicht mehr beseitigen kann.
Zum Absurden lässt sich auf zwei Wegen gelangen. Einerseits ist es ein Gefühl, das einen „an jeder beliebigen Straßenecke“[17] anspringen kann und das dafür sorgt, dass die Kulissen des Alltages einstürzen und der Mensch keine Antwort mehr auf das „Warum?“ findet.[18] Dem Betroffenen eröffnet sich das wahre Antlitz der Welt, das nicht durch eine den Dingen innewohnende, vielleicht verborgene, Bedeutung gekennzeichnet ist, sondern im Gegenteil durch nackte Sinnlosigkeit: Die Dinge verlieren „den trügerischen Sinn, in den wir sie hüllten, und sind von nun an ferner als ein verlorenes Paradies. Die ursprüngliche Feindseligkeit der Welt kommt, durch die Jahrtausende hindurch, wieder auf uns zu“ [19].
Aber das Absurde ist auch und vor allem das Ergebnis der rationalen Suche nach dem absoluten Sinn. Der auf seine Vernunft setzende Mensch stößt in seinem Ringen um letzte Wahrheiten stets auf Widersprüche, sodass er sich in dem Dilemma sieht, auf die Vernunft als einzige Methode, die ihm Wahrheit garantieren kann, vertrauen zu müssen, aber gleichzeitig zu erkennen, dass diese Methode ihm keine absolute Wahrheit bescheren kann[20]. So ist das Absurde neben einem Gefühl der Fremdheit auch „die hellsichtige Vernunft, die ihre Grenzen feststellt“[21]. Zwischen dem Gefühl und dem Begriff des Absurden heißt es insofern zu unterscheiden, als ersteres die Grundlage für letzteren bildet.[22]
2.2 Die Grundlagen – Camus‘ frühestes Denken
Camus betont am Anfang des Mythos des Sisyphos ausdrücklich, dass er das Absurde, so wie er es in diesem Werk behandelt, nicht als Schlussfolgerung, sondern als Ausgangspunkt verstanden wissen will. Ihm geht es demnach um die Frage, ob es das Leben auch ohne die Annahme eines höheren Sinns „wert ist, gelebt zu werden oder nicht“.[23] Diese Problematik lässt sich zu der Frage zuspitzen, „wieweit der Selbstmord für das Absurde eine Lösung ist“.[24] Bevor ich mich diesen Fragen, also den Konsequenzen des Absurden, widme, möchte ich in aller Kürze auf Camus‘ frühestes Denken, das vor der Entwicklung seines Begriffs des Absurden steht, eingehen, da der Verlauf seines Denkens von diesen Prämissen aus bei der Analyse des Schlusses von Der Fremde wichtig sein wird.
Wie Mairhofer herausstellt, geht dem Absurden bei Camus die Vorstellung einer „vorbewußten Einheit des Menschen mit der Erde“ voraus.[25] Im Erleben der Natur erfährt er seine Identität, die im Verbundensein mit jener begründet ist. „Die Natur nimmt den Menschen auf, und er sieht sich als Teil ihrer selbst. In der fraglosen Verbrüderung erlebt er die Ganzheit der Welt, aus der er hervorgegangen ist und in die er wieder zurückkehren wird.“[26] Dieser ursprüngliche Status des Menschen ist durch Totalität und den Ausschluss jeder Metaphysik charakterisiert. Damit einhergehend kennt der naive Mensch noch keine Zeit, sondern lebt unreflektiert im Hier und Jetzt. Der Ausgangspunkt von Camus‘ Denken steht damit in der Tradition von Friedrich Nietzsche und seinem berühmten Credo: „Gott ist todt“[27], durch das die Ablehnung eines jeden Sinns ausgedrückt wird, der über das Irdische hinausgeht.
Folgt man Mairhofers Darstellung von Camus‘ frühem Denken weiter, kann die Einheit des Menschen mit der Natur auf zwei Weisen erschüttert werden: Zunächst durch die Erfahrung leiblich-sinnlicher Mängel wie Hunger oder widriges Klima, die den Menschen in einen Zustand des Elends versetzen. Des Weiteren – und das ist der durch seine Irreversibilität wichtigere Faktor – durch die Bewusstwerdung des Menschen über seine eigene Lage.
Da der Mensch das Gefühl der Identität mit der Erde jenseits des absoluten Verlangens nach Erklärbarkeit in einem ekstatischen Zustand rein sinnlich-leiblich erlebt, beginnt mit dem Aufkommen des geistigen Moments – in dem Sinne, daß die Vernunft Rechenschaft über die Unverstehbarkeit dieser Situation verlangt – jener Zustand, der den Menschen seiner Ursprünglichkeit entreißt.[28]
Fortan ist der Mensch also wesenhaft ein nach einer nicht mehr möglichen Einheit mit der Natur Strebender, dessen Zerrissenheit durch das Wissen um die Endlichkeit der eigenen Existenz noch vergrößert wird. Er gerät in einen „Zwiespalt von Lebensgier und Todesangst“[29] und das Absurde hält Einzug in sein Erleben. Auch Sartre sieht in dem Absurden Camus‘ einen „Zwiespalt zwischen der Sehnsucht des Menschen nach der Einheit und dem unüberwindlichen Dualismus von Geist und Natur“[30]. Festzuhalten ist also, dass das Absurde aus der Entzweiung von Mensch und Natur entsteht und ein absoluter Sinn für den Menschen nur in einer Einheit mit der Welt liegen kann, denn, wie Camus es ausdrückt, „(w)äre ich Baum unter Bäumen, Katze inmitten der Tiere, dann hätte dieses Leben einen Sinn oder dieses Problem hätte vielmehr keinen, denn ich wäre Teil dieser Welt. Ich wäre diese Welt […]“[31].
2.3 Die Konsequenzen
2.3.1 Gibt es eine Logik bis zum Tode?
Kommen wir nun zu den Folgen des Absurden und damit zum eigentlichen Thema des Mythos. Camus macht mehrmals deutlich, dass er sich in seinem Essay auf die Suche einer Logik bis zum Tode macht und ihm nicht daran gelegen ist, eine moralische Bewertung des Selbstmordes abzugeben, die nur mit der Annahme eines Gottes möglich wäre.[32] Sein Anliegen ist es zu klären, ob der Selbstmord eine logische Konsequenz des Absurden ist.[33] Damit fragt er nach dem Wert des Lebens im Schatten des Absurden, das deswegen der Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist, da es auf der Gegenüberstellung von Ich und Welt basiert und somit die erste und einzige evidente Wahrheit des Menschen ist.[34] Er macht es damit zur einzigen Prämisse seiner Untersuchung und versucht zu ergründen, welche Konsequenzen sich für den Menschen ergeben, der das Absurde gespürt und erkannt hat[35]. Dabei will er den Pfad der Logik nicht verlassen und keinen ausweichenden „Sprung“ machen, der den Vernunftmenschen nicht zum Ziel führen kann[36].
Um Camus‘ Argument zu verstehen, mit dem er den Selbstmord ablehnen und drei andere Konsequenzen aus dem Absurden ziehen wird – die Auflehnung, die Freiheit und die Leidenschaft – muss noch einmal betont werden, dass das Absurde eine Differenz zwischen „dem Absolutheitsanspruch des Menschen und der Unverfügbarkeit der Welt“[37] ist, also nur durch einen Vergleich entstehen kann. Es „ist im wesentlichen eine Entzweiung. Es ist weder in dem einen noch in dem anderen der verglichenen Elemente enthalten. Es entsteht durch deren Gegenüberstellung.“[38] Aus dieser Tatsache folgt, dass die Aufhebung einer der beiden Pole das Absurde vernichtet. Wenn aber das Absurde die einzige Wahrheit des Menschen darstellt, kann es nicht vernichtet werden, ohne der Logik zu widersprechen, da durch die Logik die Wahrheit zwingend erhalten werden soll. Sich umzubringen hieße einen der beiden Teile, die das Absurde aufrecht halten, zu vernichten und somit kann der Selbstmord keine logische Folge des Absurden sein. Es folgt stattdessen: „Leben heißt das Absurde leben. Es leben lassen heißt vor allem ihm ins Auge sehen.“[39]
2.3.2 Die Ethik der Quantität: Auflehnung, Freiheit, Leidenschaft
Wie gezeigt kann es keine Folgerungen aus dem Absurden geben, die dieses auflösen, und somit schließt das Absurde den Selbstmord aus; „es entgeht [ihm] in dem Maße, wie es gleichzeitig Bewußtsein und Ablehnung des Todes ist“[40]. Anstatt sich umzubringen und sich dadurch dem Problem zu entziehen, hat der Mensch unter Berücksichtigung seines Wissens dafür zu sorgen, dass das Absurde aufrechterhalten wird, denn als Vernunftwesen kann er eine einmal erkannte Wahrheit nicht mehr leugnen. Thurnherr fasst diese „Lebensregel“ so zusammen:
Da das Absurde die einzige Wahrheit für den Rationalisten darstellt und er als solcher an ihr festhalten muss und da der Bestand des Absurden unmittelbar vom Träger des Bewusstseins abhängt, erweist sich ‚das Leben als das einzig notwendige Gut‘.[41]
Es ergibt sich für den absurden Menschen, der keine Werte außerhalb seines eigenen Erlebens anerkennt, eine Ethik der Quantität, die sich in den Begriffen Auflehnung, Freiheit und Leidenschaft niederschlägt und sich unter der Formel subsummieren lässt: „Soviel wie möglich leben“[42]. Es gilt sich beständig gegen das Absurde aufzulehnen, denn der Anspruch auf Verständnis und damit auf Einheit bleibt. „An die Stelle der unlogischen und als solche unredlichen Negation des Absurden tritt“, nach Pieper, „somit der Wider-Spruch, die Auflehnung gegen das Absurde als eine widerrechtliche Antinomie.“[43] Diese Auflehnung wie überhaupt sein ganzes Leben, findet für den Absurden in fast vollkommener Handlungsfreiheit statt, die sich aus dem „Verlust an Hoffnung und Zukunft“[44] speist.[45] Beschränkt wird sie lediglich durch den Tod.[46] Der absurde Mensch verneint also jedes zukünftige Ziel und richtet sich in der Gegenwart ein.[47] Anstatt sich in Sorge um seine Zukunft selbst zu beschränken, wird er jener gegenüber gleichgültig und versucht leidenschaftlich alles aktuell Gegebene in maximaler Intensität auszuschöpfen. Moralische Werte entstehen dabei für ihn erst durch seine eigenen Erfahrungen und haben keine allgemeine Verbindlichkeit.
2.4 Sisysphos: Der Archetyp des Absurden
Der Lebensregel für den absurden Menschen stellt Camus fünf Typen zur Seite, die jene beispielhaft umsetzen: Don Juan, der Schauspieler, der Eroberer, der Künstler und Sisyphos.[48] Sie alle leben nach Maßgabe des Absurden, das heißt nach einer Ethik der Quantität, und versuchen konsequent, bewusst und hoffnungslos ihr Schicksal zu leben, also die Gegenwart und die Welt zu bejahen, da dies das einzige ist, was ihnen sicher ist.[49] So lebt etwa Don Juan „einen unaufhörlichen Protest und will alle möglichen Gesichter der Liebe kennenlernen […], indem er in jedem Augenblick das sinnlich-leibliche Glück in der Gegenwart einem metaphysischen Glück in der Zukunft vorzieht“[50] Der Schauspieler versucht durch sein Tun möglichst viele Leben zu leben und ebenso viele Tode zu sterben[51], der Eroberer versucht sein Reich ohne die Illusion von Zukunft oder Ewigkeit ständig zu vergrößern[52] und auch der Künstler, die absurdeste Gestalt, „quantifiziert, indem er die Welt immer wieder neu schafft“[53]. Trotz des Wissens um die Nutzlosigkeit, versucht der absurde Mensch „die Wirklichkeit zu wiederholen und neu zu gestalten“[54].
Übrig bleibt ein Schicksal, bei dem nur das Ende unausweichlich ist. Abgesehen von diesem einzigen Verhängnis des Todes stellt alles andere, Freude oder Glück, Freiheit dar. Es bleibt eine Welt, deren einziger Herr der Mensch ist. Was ihn bannte, war die Illusion einer anderen Welt.[55]
Mit diesen Worten leitet Camus zur Leitfigur des Absurden über: Sisyphos[56]. „[Er] ist der absurde Held.“[57] In diesem Rang steht er, weil er es trotz des ihm von den Göttern auferlegten Schicksals schafft, als ein autonomes Individuum eigene Sinnansprüche zu erheben.[58] Sollte seine Qual eigentlich gerade in dem Bewusstsein über seine Lage verankert sein, durch das ihm die Aussichtslosigkeit seines Ziels stets präsent ist, wird jenes im Gegenteil zur Möglichkeit seines Sieges. Denn Sisyphos hat, wie Pieper feststellt, an die Stelle der linearen und als solche zugleich vertikalen Sinnvorstellung seine eigene zyklische gesetzt, durch die jeder Schritt, den er tut, für ihn Wert gewinnt, denn jeder Schritt ist eine Bestätigung seines eigenen, in sich geschlossenen und jede vertikale Transzendenz ausschließenden Lebenskonzeptes, mit dem die Götter nichts mehr zu tun haben.[59]
Gemäß den oben genannten Ableitungen aus dem Absurden bejaht Sisyphos jeden Moment seines Lebens, ohne Anspruch auf einen höheren, zukünftigen Sinn oder einen Zusammenhang seiner Handlungen zu erheben. Sein Tun verschafft ihm ein rein persönliches Glück, das nicht von äußeren Umständen oder metaphysischen Werten abhängt. Wegen dieser Freiheit „müssen [wir] uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“[60].
2.5 Zusammenfassung
Das Absurde ist die erfolglose Sinnsuche des Menschen. Mittels seiner Vernunft versucht er eine Einheit zwischen sich und der Welt herzustellen und erkennt dabei die Unmöglichkeit seines Versuches. Trotz dieser Erkenntnis kann er seine Vernunft nicht aufgeben und einen Sinn annehmen, der die Welt und damit die Logik übersteigt. Er kommt zu dem Schluss: „[Die Welt] ist unvernünftig, nichts weiter“[61]. Er verneint damit die Vernunft ebenso wenig, wie er sie übersteigert. Sie bleibt die Methode seines Denkens und sagt ihm, dass er fortan alles von dem Absurden als seiner ersten Wahrheit aus zu begreifen hat. Nicht der Selbstmord als Aufhebung des Absurden erweist sich somit als sein Ziel, sondern ein Leben, das im Zeichen dieser Kluft steht, ein Leben, wie es beispielhaft durch die mythische Figur Sisyphos geführt wird und das durch die Werte Auflehnung, Freiheit und Leidenschaft als Elemente einer Ethik der Quantität beherrscht wird.
3. Der Fremde – Zum Schluss
3.1 Abgrenzung
Um der Frage nachgehen zu können, wie viele Aspekte des Absurden am Schluss von Der Fremde auftauchen, muss zunächst geklärt werden, wo überhaupt der Schluss dieses Textes zu verorten ist. Auf literaturtheoretische Fragen wie „Wo endet ein Text?“ kann hier nicht eingegangen werden. Es bleibt mir also nur mitzuteilen, wo ich den Schluss bei meiner Untersuchung angesetzt habe und dies zu begründen. Dazu ist eine minimale Inhaltsangabe[62] und eine Beschreibung der formalen Struktur des Textes notwendig:
Meursault, Held des Romans und der Erzähler, ist für einen ungeplanten Mord an einem Araber zum Tode verurteilt worden und wartet in der Zelle auf seine Hinrichtung. Im ersten Teil des Romans schildert er die Geschehnisse, die zu der Tat geführt haben, im zweiten Teil folgen Berichte von Erlebnissen und Gedanken aus der Zeit nach seiner Verhaftung. Die Trennung der beiden Teile entsteht außer auf dieser inhaltlichen Ebene auch formal durch die Kapiteleinteilung und durch den Stil Camus‘[63]. Der zweite Teil gliedert sich in fünf Kapitel; das Ende muss somit im fünften und letzten zu finden sein. Meursault führt in diesem Kapitel aus, wie er sich weigert, den Anstaltsgeistlichen in seiner Zelle zu empfangen. Statt auf Gottes Beistand zu hoffen, stellt er eigene Überlegungen zum Sinn des Lebens an. Schließlich kommt der Geistliche doch zu ihm und es entwickelt sich ein Disput über Glaubensfragen, der in einem massiven Wutausbruch Meursaults endet. Nachdem der Geistliche gegangen ist, findet Meursault in eine tiefe innere Ruhe, die mit einem starken Glücksgefühl verbunden ist. Diese Passage ist der letzte Absatz des Textes und dort habe ich das Ende verortet[64]. Meine Untersuchung wird also von dieser Stelle ihren Ausgangspunkt nehmen, doch da ein Ende niemals alleine steht und in diesem Fall der Abschluss eines Prozesses ist, wird auch auf vorhergehende Textstellen einzugehen sein.
3.2 Absurde Aspekte
Betrachtet man diesen letzten Absatz des Textes unter Berücksichtigung des Absurden, lässt sich feststellen, dass er den Beginn einer neuen Bewusstseinsstufe der Figur Meursault markiert. Jener erkennt das Absurde endgültig an und richtet sein Leben nach dessen Maßgaben neu aus. Dieser Bewusstseinswandel wird von Meursault selbst formuliert:
In dem Moment und an der Grenze der Nacht haben Sirenen geheult. Sie kündigten Abreisen in eine Welt an, die mir jetzt für immer gleichgültig war. […] auch ich fühlte mich bereit, alles noch einmal zu leben. Als hätte diese große Wut mich vom Bösen geläutert, von Hoffnung entleert, öffnete ich mich angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum erstenmal der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt. Als ich spürte, wie ähnlich sie mir war, wie brüderlich letzten Endes, habe ich gefühlt, daß ich glücklich gewesen war und daß ich es noch war. Damit sich alles erfüllte, damit ich mich weniger allein fühlte, brauchte ich nur zu wünschen, daß am Tag meiner Hinrichtung viele Zuschauer dasein würden und daß sie mich mit Schreien des Hasses empfangen.[65]
Meursault bekennt sich hier zu seiner Gleichgültigkeit gegenüber der Welt und auch gegenüber seinen Mitmenschen, an deren Zuneigung ihm nicht mehr gelegen ist, deren Hass er nun regelrecht einfordert. Trotzdem – und das zeigt deutlich die Absurdität – sagt er, dass er glücklich war und es noch ist. Er verneint sein Leben nicht, sondern bekundet seine Bereitschaft, es noch einmal genauso zu leben. Wenn wir an die Charakterisierung des absurden Lebens, wie sie Camus im Mythos gibt, zurückdenken, finden wir sie hier exemplifiziert. Wir hatten gesehen, dass sich das absurde Leben allein aus der Gegenwärtigkeit speist und der Hoffnung, und damit der Zukunft, keine Geltung verleiht. Der Tod ist das einzige sicher wartende Ereignis, aber er löst mit dem Leben auch das Absurde auf, sodass sich für den absurden Menschen kein anderer Schluss aus ihm ziehen lässt, als ihn so weit wie möglich zu verneinen. Meursault sieht diesen Zusammenhang nun ein, indem er bekundet, dass er seine ganze Hoffnung aufgegeben hat. Die Hoffnung bezieht sich in diesem Kontext auf ein ewiges Leben, symbolisiert durch das Gnadengesuch, das Meursaults Todeszeitpunkt verschieben würde. Die nun ausgedrückte Akzeptanz des vollkommenen Todes, die Meursault auch früher schon anklingen lässt, führt zu einer bewussten Ablehnung dieser Wahrheit, zu der von Camus im Mythos geforderten Auflehnung, und damit zu einer gesteigerten Bejahung des Lebens, einer Ethik der Quantität, einem Mehr-Leben-Wollen. In Der Fremde wird die Gewissheit des Todes, der sich jeder Mensch zu fügen hat, durch das Urteil und die Gefangenschaft Meursaults von Camus verdoppelt. Am Schluss des Romans praktiziert Meursault in seiner Lebensbejahung trotz der wartenden Guillotine somit eine Ethik der Quantität unter extremsten Bedingungen. Doch wie kommt er dorthin?
3.3 Die Phasen des Absurden
Krauss sieht im Mythos des Sisyphos drei Phasen des Absurden gegeben, die sich mit der Entwicklung der menschlichen Psyche nach Carl Gustav Jung und Erich Neumann decken.[66] So steht am Beginn der Entwicklung des Menschen zum absurden Leben das vor-absurde, problemlose Dasein, das wir in Kapitel 2.2 (Die Grundlagen – Camus‘ frühestes Denken) bereits in seinen Grundzügen kennengelernt hatten. Darauf folgen die Erkenntnis der Absurdität und schließlich die Revolte. Psychologisch korrespondiert dies mit drei Persönlichkeitsstufen des Menschen, der Phase des Unbewussten, dem „Vorgang der Individuation als Auseinandersetzung des ‚spezifisch Menschlichen mit dem allgemein-Natürlichen‘“[67] und schließlich einer Phase der Selbst-Gestaltung. Durch Betrachtung des Stils, des Erzählerstandorts und des Aufbaus kommt auch Krauss zu dem Schluss, dass Meursault nach dem Streit mit dem Geistlichen die dritte Stufe des Absurden erreicht, sich also seines absurden Daseins vollends bewusst wird.[68]
Versucht man unter dieser Prämisse die Entwicklung auf den Schluss hin nachzuvollziehen, wird deutlich, dass in Meursault noch zu Beginn des Kapitels die Hoffnung auf ein zukünftiges Leben glimmt[69] und er Überlegungen zu den Wahrscheinlichkeiten anstellt, mit denen er seinem Urteil entrinnen könnte[70]. Dabei kommt er zu einem ähnlichen Ergebnis wie Camus im Mythos: „Das Grauen rührt in Wirklichkeit von der rechnerischen Seite des Ereignisses her.“[71] Im Laufe seiner Überlegungen wird Meursault bewusst, dass er den Tod bisher aus emotionalen Gründen verdrängt hat, sich also dem Verständnis Camus‘ nach wie der typische Alltagsmensch verhalten hat[72]. So schildert Meursault, dass sein Vater einst trotz größter innerer Widerstände einer Hinrichtung beiwohnte und ihn, Meursault, dieses Verhalten abgestoßen hatte. Doch „(j)etzt verstand ich, das war so natürlich.“[73] Meursault erkennt damit die intuitive und rein körperliche Angst vor dem Tod an[74], die von Camus auch im Mythos herausgestrichen wird[75]. Diese Angst allerdings ändert nichts an seiner Banalität: Mit dem Tod geht schlichtweg das Leben zu Ende und es heißt die verbleibende Zeit zu nutzen. Meursault wird nun ebenfalls klar, dass er dem Tod unbewusst bisher eine überhöhte Bedeutung verliehen hat, die nicht gerechtfertigt war. So wähnte er, ohne zu wissen warum, die Guillotine auf einem Schafott, dessen Stufen man zu erklimmen hat, und sieht nun: „In Wirklichkeit stand die Maschine zu ebener Erde, ganz schlicht und einfach. Sie war viel schmaler, als ich dachte.“[76]
Dass hier von Camus ein Sinnbild für das Schicksal des Menschen im Allgemeinen geliefert wird, so wie es auch im Mythos des Sisyphos erscheint, ist offensichtlich. Das wenig später von Meursault selbst gezogene Fazit seiner Erkenntnisse – „Folglich (und das schwierige war, alles, was in diesem „folglich“ an Überlegungen steckte, nicht aus den Augen zu verlieren), folglich mußte ich die Ablehnung meines Gnadengesuches akzeptieren.“[77] – stützt diesen Eindruck: Durch die Betonung des „Folglich“, einem Ausdruck, der eine logische Folgerung anzeigt, wird von Camus eine unmissverständliche Parallele zur strengen und nüchternen Logik des Mythos des Sisyphos geschaffen. Überhaupt findet sich das Bild des zum Tode Verurteilten in beiden Werken.[78]
Auf Meursaults Reflexionen zum Tod in Kapitel V folgt der Streit mit dem Geistlichen, der auf die These, dass Der Fremde und Der Mythos des Sisyphos in einem engen Zusammenhang stehen, ähnlich affirmativ wirkt. Was hier stattfindet, nennt Fleischer eine „Katharsis“, durch die Meursault „nun voll und ganz ein Selbst (wird) und (sich als solches) behauptet. Er stellt sich dem Absurden der menschlichen todgeweihten Existenz.“[79] Als wichtigstes Charakteristikum dieser „neuen Bewusstseinsstufe“[80] diagnostiziert Fleischer einen Wandel in Meursaults Verhältnis zu der Zeit, das sich mit dem des Sisyphos, so wie Pieper es sieht[81], weitestgehend deckt. Auch „der Fremde“ wird am Ende vollkommen von der „Gegenwart dominiert“ und versucht „ihre positiven Möglichkeiten auszuschöpfen“.[82] Im Streit mit dem Geistlichen kündigt sich dies bereits an:
Er wollte noch weiter über Gott sprechen, aber ich bin auf ihn zugetreten und habe versucht, ihm ein letztes Mal zu erklären, daß mir wenig Zeit bliebe. Ich wollte sie nicht mit Gott verschwenden.[83]
Hier zeigt sich auch, dass die Figur Meursault ganz wie ihr Erschaffer Camus Atheist ist und jede Transzendenz ablehnt, wenn es heißt, die richtige Form des eigenen Lebens zu finden. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Existenz Gottes nicht explizit verneinen, sondern dieser Frage wegen der Unmöglichkeit ihrer Beantwortung keinen Raum im eigenen Denken zuweisen wollen. So findet sich Meursaults Antwort auf die Frage des Geistlichen, ob er an Gott glaube – „Ich habe geantwortet, daß ich nicht an Gott glaubte. Er wollte wissen, ob ich dessen ganz sicher wäre, und ich habe gesagt, das brauchte ich mich nicht zu fragen: das wäre eine Frage ohne Belang.“[84] – von Camus im Mythos ähnlich formuliert:
Was ich weiß, was sicher ist, was ich nicht leugnen kann, was ich nicht verwerfen kann – das zählt. […] Ich weiß nicht, ob diese Welt einen Sinn hat, der über sie hinausgeht. Aber ich weiß, daß ich diesen Sinn nicht kenne und daß es mir vorerst auch nicht möglich ist, ihn zu erkennen. Was bedeutet mir ein Sinn, der außerhalb meiner conditio liegt? Ich kann nur auf menschliche Weise etwas begreifen. Was ich berühre, was mir widersteht – das begreife ich.[85]
Camus‘ Argumentation in Der Mythos des Sisyphos spiegelt sich also in Meursaults Streit mit dem Geistlichen wieder. Meursault wirft jenem vor, über keine Gewissheiten zu verfügen und setzt seine eigene Wahrheit – das Absurde – dagegen.[86] Dadurch dass Meursault sich an das Wenige hält, was ihm sicher ist – sein Leben und sein Tod – erfüllt er die Kriterien, die nach Camus einen weisen und absurden Menschen auszeichnen.[87] Und schließlich bekennt er sich in einem wortgewaltigen Ausbruch auch selbst zum absurden Denken:
Nichts, nichts wäre von Bedeutung, und ich wüßte, warum nicht. Er wüßte es auch. Aus der Tiefe meiner Zukunft stiege während dieses ganzen absurden Lebens, das ich geführt hätte, ein dunkler Atem zu mir auf, durch Jahre hindurch, die noch nicht gekommen wären, und dieser Atem machte auf seinem Weg all das gleich, was man mir in den genauso unwirklichen Jahren böte, die ich lebte.[88]
Nach dem Wutausbruch dringt ein „wunderbare(r) Frieden“ des „schlafenden Sommer(s) […] wie eine Flut“ in Meursault ein.[89] Seine Sinne sind offen und er erlebt sich und die Welt in Harmonie. Denken wir daran zurück, wodurch das Absurde ursprünglich ausgelöst wurde, zeigt sich hier eine Rückkehr zu einem vorabsurden Zustand, die auch von Krauss diagnostiziert wird[90]. Wenn man aber Camus im Mythos gefolgt ist, steht diese Harmonie im Widerspruch zu der Annahme, das Absurde sei eine Evidenz und somit nicht aufzulösen, ohne „zu springen“. Es stellt sich also die Frage, ob Camus hier vom Mythos abweicht oder ob dieser Widerspruch in der Theorie des Absurden selbst verankert liegt, denn wenn man das Absurde als Wahrheit anerkennt und zur Grundlage einer Ethik macht, stellt man eine Einheit her und löst es dadurch wieder auf. Es erscheint mithin unmöglich, bewusst absurd zu leben. Auch Camus hat dieses Problem erkannt und folgert daraus, dass das Absurde tatsächlich und vollkommen der Logik entbehrt. Seine Existenz stellt er hingegen nicht in Frage.[91]
4. Fazit
Es ist an der Zeit, die Ergebnisse abzurunden und ein Fazit zu ziehen. Wendet man das Absurde, so wie Camus es im Mythos darstellt, auf seinen Roman Der Fremde an, lassen sich mehrere Entwicklungsphasen der Figur Meursault hin zum Absurden ausmachen. Dieser Prozess findet im letzten Absatz des letzten Kapitels seinen Abschluss, da Meursault auf einer neuen Bewusstseinsebene zu seiner zwischenzeitlich gestörten Ruhe zurückfindet, die in einem wieder gewonnenen Einheitsgefühl mit der Welt ihren Grund hat. Noch zu Beginn des Romans kann man Meursault in einer körperlichen und unreflektierten Vereinigung mit der Natur, also in einem vorabsurden Zustand erleben.[92] Durch vier unmotivierte Schüsse auf den bereits toten Araber wird Meursault erstmalig selbst aktiv und ist gezwungen, sich im Anschluss an seine Tat mit seinen Motiven und so auch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ihm wird das Absurde immer bewusster, bis er sich schließlich in dem Streit mit dem Geistlichen dazu bekennt. Dadurch gelangt er zu einem neuen Verständnis seiner eigenen Existenz und versucht erstmals aktiv die Konsequenzen des Absurden zu tragen, also im Sinne einer Ethik der Quantität den Augenblick hoffnungslos und intensiv zu erleben. Es lässt sich also folgern, dass Der Fremde und Der Mythos des Sisyphos thematisch und strukturell in einem engen Zusammenhang stehen und deutliche Parallelen aufweisen.
5. Und die Murmeln?
Bleibt die Frage, ob Meursault am Schluss des Romans als ein absurder Held gelten darf. Stemmt er dem Sisyphos gleich einen massiven Felsbrocken unermüdlich einen steilen Hang hinauf oder wirft er kleine Murmeln gegen seine Zellenwand? Diese Frage lässt sich nicht beantworten, denn obwohl das Absurde am Schluss des Romans Meursaults Denken eingenommen hat und sein Handeln lenkt, bleibt es eine stete Herausforderung, eine tägliche Anstrengung, und verlangt nach Stärke und größter Disziplin. Ob Meursault dies aufbringen wird oder ob er wie so viele die Hoffnung wieder auflodern lässt und „den Sprung“ macht, bleibt offen. Fest steht allerdings, dass er das Zeug zum absurden Helden hat, denn weder sozialer Status, physische Qualitäten, noch Gottvertrauen zeichnen jenen aus, sondern allein das Wissen um die „tiefe Nutzlosigkeit allen individuellen Lebens“[93] und der Wille, „nichts zu maskieren“[94].
Literaturverzeichnis
A. Quellen
Camus, Albert: Der Fremde. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2006.
Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2006.
Camus, Albert: Tagebücher 1935 – 1951. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1997.
Nietzsche, Friedrich Wilhelm: Die fröhliche Wissenschaft.
URL: http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1960&kapitel=5&cHash=d55e3d9dd1chap005#gb_found (10.09.2010)
B. Darstellungen
Fleischer, Margot: Zwei Absurde: Camus‘ Caligula und Der Fremde. Eine Interpretation. Würzburg: Könighausen und Neumann 1998.
Krauss, Henning: Zur Struktur des Etranger. – In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur; Band 80. Hrsg. von E. Gamillscheg und J. Wilhelm. Wiesbaden: Franz Steiner 1970.
Mairhofer, Elisabeth: Hang und Verhängnis. Der Gegensatz der beiden Thesen in Camus‘ Früh- und Spätphilosophie. Innsbruck: Verlag des Instituts für Sprachphilosophie der Universität Innsbruck 1989.
Pieper, Annemarie: Camus‘ Verständnis des Absurden in Der Mythos von Sisyphos. – In: Die Gegenwart des Absurden. Studien zu Albert Camus. Hrsg. von Annemarie Pieper. Tübingen, Basel: Francke 1994.
Rings, Guido: Der konditionierte Fremde. Anmerkungen zu Selbst- und Fremdbetrachtungen in Camus‘ L’Étranger. – In: Germanisch-Romanische Monatsschrift. Neue Folge; Band 50. Hrsg. von Conrad Schröder. Heidelberg: Winter 2000.
Sartre, Jean-Paul: Der Fremde von Camus. – In: Der Mensch und die Dinge. Aufsätze zur Literatur 1938-1946. Hrsg. von Lothar Baier. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1986.
Schmidhäuser, Eberhard: Vom Verbrechen zur Strafe. Albert Camus „Der Fremde“; ein Weg aus der Absurdität menschlichen Daseins. Heidelberg: Müller, Juristischer Verlag, 1992.
Thurnherr, Urs: Konsequentes Schreiben. Albert Camus‘ „Mythos von Sisyphos“ im Lichte der „Diapsalmata“ aus Sören Kierkegaards „Entweder-Oder“. – In: Denken/ Schreiben (in) der Krise – Existenzialismus und Literatur. Hrsg. von Cornelia Blasberg und Franz-Josef Deiters. St. Ingbert: Röhrig 2004.
Fußnoten
[4] Fertigstellung/ Veröffentlichung Der Fremde 1940/ 1942, Der Mythos des Sisyphos 1941/ 1942. Caligula seit 1938/39 mehrmals überarbeitet/ Uraufführung 1945.
[34] „Von wem und wovon kann ich tatsächlich behaupten: ‚Das kenne ich!‘ Das Herz in mir kann ich fühlen, und ich schließe daraus, daß es existiert. Die Welt kann ich berühren, und auch daraus schließe ich, daß sie existiert. Damit aber hört mein ganzes Wissen auf; alles andere ist Konstruktion“, Camus: Mythos, S. 30.
[35] „Wenn ich mich an die augenscheinlichen Tatsachen halten mag, dann weiß ich, was der Mensch will und was die Welt ihm bietet; und jetzt kann ich auch sagen: außerdem weiß ich noch, was beide miteinander verbindet. Ich brauche nicht tiefer zu graben. Dem Suchenden genügt eine einzige Gewißheit. Es handelt sich darum, alle Konsequenzen aus ihr zu ziehen. Die unmittelbare Konsequenz ist gleichzeitig eine methodische Regel. […] Ihre erste Eigenschaft in dieser Hinsicht ist, daß sie unteilbar ist. Zerstört man eines ihrer Glieder, dann zerstört man sie ganz und gar. […] Und aus diesem elementaren Kriterium schließe ich, daß der Begriff des Absurden etwas Wesentliches ist und als meine erste Wahrheit gelten kann.“, Camus: Mythos, S. 44 f.
[45] Die Frage nach einer absoluten Freiheit stellt Camus hingegen nicht, denn jene sieht er an die Idee eines Gottes gekoppelt, wodurch sie außerhalb der Vernunftgrenzen liegt. Vgl. Camus: Mythos, S. 75 f.
[69] „Was mich im Moment interessiert, ist, dem Mechanismus zu entrinnen, herauszufinden, ob es einen Ausweg aus dem Unvermeindlichen geben kann.“, Camus: Fremde, S. 127.
[70] „Ich hatte bemerkt, daß es wesentlich war, dem Verurteilten eine Chance zu geben. Eine einzige von tausend, das genügte, um vieles besser zu machen.“, Ebd., S.130.
[74] Vgl. dazu Meursault spätere Äußerung gegenüber dem Geistlichen, in der er auf diese Erkenntnis Bezug nimmt: „Ich habe ihm erklärt, daß ich nicht verzweifelt wäre. Ich hätte bloß Angst, das wäre ganz natürlich.“, Ebd. S. 136.
[75] „In der Bindung des Menschen an sein Leben gibt es etwas, das stärker ist als alles Elend der Welt. Das Urteil des Körpers gilt allemal soviel wie das des Geistes, und der Körper scheut die Vernichtung.“, Camus: Mythos, S. 16.
[78] So heißt es im Mythos: „Die göttliche Disponibilität des zum Tode Verurteilten, vor dem sich an einem bestimmten zaghaften Morgengrauen die Gefängnistore öffnen, diese unglaubliche Interesselosigkeit allem gegenüber, außer der reinen Flamme des Lebens – der Tod und das Absurde sind hier […] die Prinzipien der einzigen vernünftigen Freiheit: jener, die ein menschliches Herz empfinden und leben kann. Das ist eine zweite Schlussfolgerung.“, Camus: Mythos, S. 79.