„Nigger“ or not – here I come

n-word

 

„Nigger“ – dieses Wort ist in den USA ein Tabu, ganz egal, ob es als Beleidigung verwendet wird oder nicht. Wann das Wort „Nigger“ keine Beleidigung ist? Zum Beispiel in den beiden vorangegangen Sätzen oder im nachfolgenden: Dort ist das Wort „Nigger“ Gegenstand der Betrachtung, was man bei schriftlichen Äußerungen an den Anführungsstrichen erkennt.

Bei gesprochener Sprache mag diese ganz klare Markierung einer Meta-Ebene fehlen, das heißt aber nicht, dass es sie nicht gibt. Dennoch ist es in den USA Usus, nicht das Wort „Nigger“ zu verwenden, wenn man über das Wort „Nigger“ redet, sondern das Substitut „N-Word“. Ich finde das völlig unsinnig.

Verstehen wir uns nicht falsch: Sich darüber zu empören, dass jemand einen Schwarzen beleidigend als „Nigger“ tituliert, ist natürlich unstrittig widerwärtig und zu verurteilen. Nur eben tituliert man niemanden als „Nigger“, wenn man über das Wort spricht oder einen Bericht abgibt, wie es jemand verwendet hat.

Ich dachte, die Verwendung von „N-Word“ würden die meisten Europäer so wie ich einfach als bigotte Ausgeburt der amerikanischen Gesellschaft verbuchen. Neulich habe ich allerdings bei einer Diskussion mit Freunden gelernt, dass es auch hierzulande Fürsprecher der „N-Word“-Verwendung gibt.

Argumente für die Verwendung von „N-Word“

Warum denken sie so? Das erste Argument meiner Freunde lautete aufs Wesentliche verkürzt wie folgt:

A1 Das Wort „Nigger“ ist eine Beleidigung.

A2 Beleidigungen sollten vermieden werden.


A3 Das Wort „Nigger“ sollte vermieden werden.

Das andere Argument, das ich aus der Diskussion heraushören konnte, lautete:

B1 Die Verwendung des Wortes „Nigger“ schmerzt schwarze Menschen.

B2 Man sollte anderen Menschen keine Schmerzen zufügen.


B3 Man sollte das Wort „Nigger“ nicht verwenden.

Dass beide Argumente schlüssig sind, also die Konklusionen (A3 und B3) aus den Prämissen logisch folgen, ist klar – so kompliziert ist die Argumentation ja nun nicht. Dementsprechend stoße ich mich auch an den Prämissen.

A1 muss man lesen als „Das Wort ‚Nigger‘ ist immer eine Beleidigung“ und dem möchte ich widersprechen. Denn nicht das Wort selbst ist die Beleidigung, sondern seine Verwendung in bestimmten Kontexten.

So stehen beispielsweise Schimpfwörter im Lexikon. Wie bei jedem anderen Wort ist dort die Bedeutung aufgeführt, mit dem Hinweis, dass es sich um ein Schimpfwort handelt. Wohl niemand käme auf die Idee, dass einen die Herausgeber des Lexikons mit einem Eintrag wie „Arschloch“ beleidigen wollen.

Ein etwas komplexeres Beispiel ist die bewusste Umdeutung von Worten, die ursprünglich beleidigend waren. So gibt es Prostituierte, die sich selbst als „Huren“ bezeichnen. Ganz ähnlich ist es bei dem Wort „schwul“. Gerade um ihm seine beleidigende Kraft zu nehmen, haben homosexuelle Männer begonnen, sich selbst „schwul“ zu nennen. Der Beleidigung wurde damit sozusagen der Wind aus den Segeln genommen.

Allerdings ist in beiden Fällen die beleidigende Bedeutung nicht gänzlich getilgt worden. Wenn man beispielsweise eine Kollegin in einem Disput als „Hure“ titulieren würde, hätte man mindestens Ärger, wenn nicht sogar ein Verfahren am Hals. Und jemanden aus einer homophoben Subkultur „schwul“ zu nennen, würde vermutlich auf ebenso wenig Gegenliebe stoßen.

Auch die Prostituierten selbst bemerken, dass es etwas anderes ist, ob sie selbst oder Außenstehende sie „Huren“ nennen. Das alles zeigt, wie starkt die beleidigende Kraft von Worten an ihrem Kontext hängt. Genauso ist es auch beim Wort „Nigger“.

Das wird am besten dadurch untermauert, dass das Wort in der schwarzen Hip-Hop-Kultur häufig verwendet wird. Die Logik ist wohl dieselbe, wie bei der Umdeutung der Worte „schwul“ und „Hure“: „Wir nehmen euch das böse Wort einfach weg und machen damit, was wir wollen!“

Für uns ist bei all dem nicht entscheidend, wie diese Umdeutungsprozesse ablaufen, sondern, dass es anscheinend allen Menschen klar ist, dass es etwas anderes ist, ob ein weißer Mann einen Schwarzen etwa im Streit „Nigger“ nennt oder ob ein Schwarzer zu seinem schwarzen Kumpel sagt: „My nigger!“

Meine Gegenargumente

Damit ist widerlegt, dass das Wort „Nigger“ immer eine Beleidigung ist.

C1 Das Wort „Nigger“ wird von Schwarzen untereinander nicht als Beleidigung aufgefasst.


C2 Das Wort „Nigger“ ist nicht per se eine Beleidigung.

Und genauso wenig wie das Wort unter Schwarzen eine Beleidigung ist, ist es eine, wenn es meta-sprachlich verwendet wird – ansonsten lässt man völlig außer Acht, was eine Beleidigung ausmacht:

D1 Beleidigungen setzen jemanden herab.

D2 Das Wort „Nigger“ meta-sprachlich zu verwenden, setzt niemanden herab.


D3 Wer das Wort „Nigger“ meta-sprachlich verwendet, äußert keine Beleidigung.


D4 Das Wort „Nigger“ ist nicht in jedem Fall eine Beleidigung.

Das zweite Argument (B) funktioniert für mich aus ähnlichen Gründen nicht. Wenn das Wort „Nigger“ nicht in jedem Fall eine Beleidigung ist, dann kann es auch schwarze Menschen nicht in jedem Fall, völlig unabhängig vom Kontext, schmerzen.

Dass das Wort nicht allein aufgrund seiner Laute, unabhängig von seiner Bedeutung schmerzt, weil sein schierer Klang ein Trauma aufreißt, beweist erneut die Verwendung im Hip-Hop. Denn wenn es der Klang des Wortes wäre, der schmerzt, dann wären bestimmte Songtexte für Schwarze nicht zu ertragen bzw. sehr unbeliebt. Das nur als Erläuterung zu der wohl unstrittigen Aussage, dass ein Wort wohl nur in extremen Ausnahmefällen allein aufgrund seines Klangs schmerzt.

(Man kann sich hier etwa vorstellen, wie jemand in seiner Kindheit regelmäßig verprügelt wurde und der Täter dabei unablässig ein bestimmtes Wort sagte. Dadurch könnte das Gehirn des Opfers eine assoziative Verbindung zwischen dem Klang des Wortes in seinen Ohren – es könnte dann auch ein fremdsprachiges Wort sein, dessen Bedeutung das Opfer gar nicht kennt – und dem physischen Schmerz herstellen, der später durch das Vernehmen eben dieses Klanges wieder aktiviert wird.)

Wenn es aber nicht der Klang des Wortes ist, der Schmerz zuzufügen vermag, dann kann es nur die Bedeutung sein. Doch wie oben erläutert, hängt die Bedeutung am Kontext, also auch an der Absicht des Sprechers: Was will er sagen? Und jemand, der sich wie in diesem Text mit dem Wort „Nigger“ auseinandersetzt oder als Nachrichtensprecher berichtet, wie jemand das Wort als Beleidigung verwendete, hat nicht die Absicht zu beleidigen.

Exkurs zum Diskurs

Die Verwendung des Wortes „Nigger“ ist übrigens nicht nur als direkte Beleidigung verwerflich, sondern immer dann, wenn das Wort rassistische Gedanken zum Ausdruck bringen soll.

Wenn sich beispielsweise zwei weiße Männer unterhalten und in diesem Gespräch das Wort „Nigger“ als Bezeichnung für einen oder mehrere Schwarze verwenden, dann ist das abscheulich – auch wenn es gar keinen Schwarzen erreicht und damit auch nicht unmittelbar verletzt.

Sogar die Vermeidung eines rassistischen Ausdrucks kann rassistisch sein. So wird wohl jeder schon mal erlebt haben, wie jemand extra betont hat, dass man „‚Neger‘ nicht mehr sagt …“ – womit der Sprecher deutlich zum Ausdruck bringt, dass er das Wort nur aufgrund eines gesellschaftlichen Tabus und nicht aus eigener Überzeugung heraus vermeidet.

Genauso naiv, wenn nicht dumm, ist es, darauf hinzuweisen, dass „neger“ ja nichts anderes als „schwarz“ auf Latein hieße. Es ist zwar richtig, dass dies der Ursprung des Wortes ist, aber Worte sind ja nicht für immer und ewig mit einer bestimmten Bedeutung verknüpft, sondern, wie nun hinreichend deutlich geworden sein sollte, kontextabhängig und wandelbar.

Die Schwächen von „N-Word“

Die Verwendung von „N-Word“ statt „Nigger“ ist für mich aber nicht nur unsinnig, sondern auch lächerlich, da „N-Word“ nur zu decodieren ist als „Nigger-Word“, schließlich steht das N für „Nigger“.

Das heißt, anstatt das Kind einfach beim Namen zu nennen und „Nigger“ zu sagen, wenn es aus gegebenen Umständen heraus unvermeidlich ist, erfindet man einen idiotischen Euphemismus, den jeder Hörer oder Leser ohnehin augenblicklich in die Ursprungsbedeutung übersetzt.

Das rottet das Wort weder aus, noch ändert es irgendwas an der Realität, in der jemand „Nigger“ gesagt hat (wenn wir beim Szenario bleiben, dass ein US-Nachrichtensprecher über einen entsprechenden Vorfall zu berichten hat).

„N-Word“ – ist außerdem ein semantisch völlig unsinniges Konstrukt, denn nicht nur enthält es durch das N einen direkten Bezug auf das Wort, das vermieden werden soll, es ist außerdem jedem Menschen klar, dass ein geäußertes Wort manchmal als Wort betrachtet wird und nicht auf Dinge in der Welt referieren soll. Das braucht man nicht in seine Bedeutung aufzunehmen, denn die Eigenschaft, auf die Meta-Ebene rücken zu können, hat jedes Wort.

Wann ein Wort auf die Meta-Ebene rutscht, zeigt der Kontext hinreichend an: Ein Satz wie „Der Angeklagte nannte den Kläger einen ‚Nigger‘“ markiert die Meta-Ebene nicht nur genauso scharf wie „Der Angeklagte beleidigte den Kläger mit dem ‚N-Word‘“, er ist auch näher am tatsächlichen Geschehen und damit näher an der „Wahrheit“.

Warum dieser Text?

Warum das alles? Weil es mich erstens aufregt, wenn Dinge aus vermeintlich gutem Willen verzerrt werden, und es mich zweitens stört, wenn man die breite Masse systematisch unterfordert.

Sollte sich ein Schwarzer unabhängig vom Kontext bzw. vom Sinn der Aussage davon beleidigt fühlen, wenn jemand das Wort „Nigger“ in den Mund nimmt, dann missversteht er in meinen Augen einfach die Eigenschaften von Sprache, die sich immer aus Form und Inhalt zusammensetzt und kontextabhängig ist. Das ist dann sein privates und kein politisches oder soziales Problem, auf das man mit Sprachanpassungen reagieren müsste.

Es ist richtig, dass Afrikaner und Afro-Amerikaner so wie viele weitere Ethnien lange unter einem weißen Terror-Regime zu leiden hatten und diese Menschen haben ein Recht, sich dort Gehört zu verschaffen, wo sie immer noch systematisch benachteiligt werden. Von jemandem zu fordern, genau hinzuhören und Dinge nicht zu vermengen, ist aber keine systematische Benachteiligung, sondern eine Voraussetzung für funktionierende Kommunikation.

Und gerade hier scheint man „das Volk“ zu unterschätzen. Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass Schwarze massenhaft protestiert haben oder sich verletzt fühlten, wenn Weiße klar meta-sprachlich gekennzeichnet das Wort „Nigger“ verwendet haben.

Eher scheint mir hier eher auf Seiten der weißen Amerikaner ein vorauseilender Gehorsam aus falsch verstandener Political Correctness heraus vorgelegen zu haben, der sich dann eingebürgert hat. So ein Denken bedeutet aber doch, dass man der (schwarzen) Gesellschaft nicht zutraut, zwischen Meta-Sprache und normaler Sprache unterscheiden zu können. Das ist traurig.

Dazu kommt, dass solche semantischen Nebenkriegsschauplätze die wahren Probleme kaschieren. Wenn beispielsweise ein prominenter Weißer oder ein weißer Polizist einen Schwarzen „Nigger“ nennt, dann ist doch dieser Vorfall der vielsagende Problemfall, und nicht die Tatsache, dass der berichtende Nachrichtensprecher die Beleidigung wortgetreu wiedergibt.

Ein Wort per se zu tabuisieren hat darüber hinaus etwas unglaublich Infantiles an sich, gibt man doch sonst Kindern Ersatzworte an die Hand, wenn Dinge schambehaftet sind oder als eklig empfunden werden. Wie soll auf so einem Niveau eine erwachsene Debatte über Rassismus stattfinden können?

Ich weiß, es gibt gute Argumente für die These, dass Sprache Gedanken und damit auch gesellschaftliche Verhältnisse formt. Wenn beispielsweise die männliche Form eines Wortes als Normalform verwendet wird, sagt das natürlich etwas über die Hierarchie der Geschlechter aus und stützt zumindest kollektiv-unbewusst die existierenden Verhältnisse.

Ich halte es dennoch nicht für klug, sich zu lange theoretisch bei der Sprache aufzuhalten, wenn es um soziale Ungerechtigkeiten geht. Denn die Sprache ist etwas Lebendiges und lässt sich nicht am Schreibtisch planen. Verbietet oder tabuisiert man bestimmte Ausdrücke, wird sich das dahinterstehende Denken in neuen negativen Worten bahnbrechen. Und an den Verhältnissen im Umgang ändert sich wenig.

Dazu ist es nicht sexy, Dinge zu verbieten. Jeder Wald- und Wiesenpädagoge  weiß doch mittlerweile, dass man besser positive, intrinsische Anreize setzt, als mit Sanktionen zu drohen.

Das heißt, man sollte mal lieber für einen realen Kontakt zwischen den Menschen sorgen bzw. diesen Kontakt aktiv suchen. Wer ein paar schwarze Freunde hat, wird schon checken, was für Ausdrücke unangebracht sind. Ich bezweifle aber, dass andersherum die Etablierung von Ausdrücken wie „N-Word“ irgendjemanden dazu bringt, offener auf Schwarze zuzugehen.

Dasselbe gilt für Deutschland: Anstatt am Zigeunerschnitzel rumzudoktorn, sollten wir lieber dafür sorgen, dass Migranten nicht als Gruppen isoliert am Stadtrand leben müssen, weil nur dort günstiger Wohnraum für sie existiert, oder dass Kinder ausländischer Eltern trotz eventueller Sprachbarrieren den bestmöglichen Zugang zum Bildungssystem plus Extra-Förderung erhalten.

Auch ob man „Flüchtlinge“ oder „Geflüchtete“ sagt, halte ich für relativ unwichtig. Wichtiger ist es doch, dass diese Menschen schnell und unbürokratisch zu Sprachkenntnissen und Arbeitserlaubnissen kommen.

Natürlich, eines schließt das andere nicht aus. Aber man sollte immer im Auge behalten, dass Zeit, Energie und Aufmerksamkeit der Öffentlich begrenzt sind. Man sollte sich also genau überlegen, was man vermitteln muss – und was erstmal Nebensache ist.

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