Thomas Bernhard „Heldenplatz“ – Der Skandal | III.4.a) „Nestbeschmutzung“ und „Steuergeldverschwendung“

Der Hauptvorwurf der Rechten lautete, Bernhard sei ein „Nestbeschmutzer“. Dieser Vorwurf bezieht sich geradezu auf den Kern rechten Denkens, nämlich auf die Vorstellung, dass die eigene Volksgemeinschaft mit ihren Werten und Traditionen das höchste Gut darstellt. Andere Werte wie das Recht zu freier Meinungsäußerung oder die Freiheit im künstlerischen Ausdruck haben sich ihr unterzuordnen und werden als Bedrohung empfunden:

Wenn wir Österreicher uns diese unflätigen Beleidigungen von Peymann und Bernhard gefallen lassen, dann brauchen wir nicht mehr weiter darüber zu diskutieren, ob wir der deutschen Nation zugehören oder eine eigene sind, denn dann haben wir uns selbst aufgegeben.[138]

In Österreich ist dieses aus heutiger deutscher Sicht ins Extrem gehende Denken 1988 noch in weiten Teilen des Bürgertums zu finden. Dies führte zu paradoxen Haltungen gegenüber Kunst und Kultur, denn diese Bereiche sind traditionellerweise ebenfalls identitätsstiftend für das Selbstverständnis des europäischen Bürgers. Auch die österreichische Rechte lehnte damals die Kunst nicht generell ab. Vielmehr adelte sie solche Kunst, die sich mit ihrem eigenen Selbstverständnis in Einklang bringen ließ – berechtigterweise oder nicht, das sei dahingestellt. Thomas Bernhard, dem „Österreich-Besudeler“, wurde daher während des Heldenplatz-Skandals der „Nationaldichter“ Franz Grillparzer, der voller Lob für seine Heimat gewesen sein sollte, als Antipode gegenübergestellt.[139] Man kann daran ablesen, dass die Kunst nach Ansicht der Rechten unkritisch gegenüber Staat und Volk zu sein hat. Wo sie doch Kritik übt, soll dies gemäßigt geschehen und die Richtigen treffen, wie in einer Glosse von D. Kindermann in der Kronen Zeitung ausgeführt wird:

Es ist eine der elementarsten Aufgaben des Theaters, Unrecht anzuprangern, Mißstände aufzudecken, Heuchelei zu entlarven, um Streitgespräche zu provozieren. […] Thomas Bernhard fällt dagegen in seinem Stück „Heldenplatz“ ein Pauschalurteil über die Österreicher, die er als Massenmörder, Debile, unverbesserliche Nazis usw. bezeichnet. Wir bekennen uns zur Freiheit der Kunst auch um den Preis, daß damit aus sehr leicht durchschaubaren Motiven Mißbrauch betrieben werden kann. Aber muß ausgerechnet zum 100. Geburtstag des Burgtheaters, das mit sauer verdienten Steuermillionen subventioniert wird, eine völlig undifferenzierte Österreich-Beschimpfung aufgeführt werden? Es gibt genug gute, kritische Stücke über unser Land, die nicht allein um der Provokation willen geschrieben wurden, sondern vor allem, um zum Nachdenken anzuregen.[140]

Neben der geradezu naiven Argumentation, dass es bereits „genug gute, kritische Stücke“ gebe, mit der im Grunde gesagt wird, dass man zeitgemäße, weil treffende Kritik ablehnt, fällt bei dem Text die widersprüchliche Haltung gegenüber dem Burgtheater ins Auge. Dieses wird einerseits durch den Hinweis auf die „Steuermillionen“ der (klein)bürgerlichen Welt zugerechnet. Zugleich findet die bürgerfeindliche Kunst aber genau dort ihre Bühne.

Dieser Zwiespalt zwischen der „großen“ bürgerlichen Tradition und einer selbstbewußten, wenn auch kleinbürgerlichen Elite findet sich dann in den einzelnen Artikeln [der Kronen Zeitung] wieder: dort wird das bürgerliche Grundrecht der Freiheit der Kunst zwar als ein für die meisten Leser abstraktes Lippenbekenntnis verteidigt, die Zitate aus dem Stück werden aber als persönliche Beleidigung des entrechteten Stimmviehs gehandelt […].“[141]

In Kindermanns Glosse wird auch der zweite große „Missstand“ der Heldenplatz-Skandalierung genannt: Die „Steuergeldverschwendung“. Dieser Vorwurf leitet sich aus den genannten Normen des rechts-konservativen Denkens ab, indem die gute Gemeinschaft der Österreicher hier nicht beleidigt, sondern ausgebeutet wird. Diese Argumentation zielt ebenso wie der Vorwurf, durch Heldenplatz würden Gesetze verletzt,[142] darauf ab, die Skandalierung an der Oberfläche zu versachlichen. Andererseits kann der Leser, wie im Kapitel zur Form des Skandals beschrieben, durch die Thematisierung seiner eigenen finanziellen Situation leicht betroffen gemacht werden und die Zeitungen können sich auf seine Seite schlagen. Die Forderungen nach Zensur, die von Politikern und Bürgern geäußert wurden, erweitern die Normen des rechten Kunstverständnisses um folgenden Aspekt: Wo sich ein Künstler nicht im Sinne des Volkes verhält, muss der Staat eingreifen und für Ordnung sorgen!

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[138] Dichand: Sonnenuntergang, Neue Kronen Zeitung, 11.10.1988.
[139] Vgl. Bender: Nachlese, S. 255-258. Wie Bentz zeigt, wirken in dieser Dichotomie zwei Mythen, die von österr. Dichtern über ihre Heimat geschaffen wurden: Der „Goldene“ und der „Schwarze“. Während der erste, neben Grillparzer u. a. von Joseph Roth erzeugt, das Land als eine Art idealen Staat präsentiert, ist der zweite, der v. a. von Karl Kraus initiiert und in der Nachkriegszeit eben zum Beispiel von Bernhard wiederaufgegriffen wurde, von „Selbsthass“ geprägt und sieht den Alpenstaat als „Mörderrepublik“ (Peter Turrini). [Vgl. Bentz: Dichtung, S. 21-23.]
[140] Kindermann: Pauschalurteil, Neue Kronen Zeitung, 9.10.1988, S. 3.
[141] Felderer: Theaterbrand, S. 219.
[142] „Was da an Verunglimpfungen Österreichs in unserem Burgtheater geschieht […] sind Ehrenbeleidigungen, Schmähungen und Verleumdungen am laufenden Band, also Gesetzesverletzungen. Wo bestehendes Gesetz gebrochen wird, enden auch in einer Demokratie die Freiheiten, ob es sich um Pressefreiheit oder Freiheit der Kunst handelt […].“, Dichand: Sonnenuntergang.

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