Thomas Bernhard „Heldenplatz“ – Der Skandal | III.4. Die Normbrüche

Die in Skandalen verhandelten Normen sind stets Kinder ihrer geschichtlichen, sozialen und kulturellen Umstände und damit von Skandal zu Skandal verschieden. Wie die Rekapitulation der historischen Rahmenbedingungen und die Betrachtung der Deutungsmuster bereits gezeigt hat, kann der Heldenplatz-Skandal nur unter Berücksichtigung der speziellen Situation Österreichs im Jahre 1988 entschlüsselt werden. Seine Tragweite ist unmittelbar mit der damals akuten Aufarbeitung der österreichischen Vergangenheit verknüpft, die das Land in zwei politische Lager spaltete. Der Heldenplatz-Skandal zeigt damit zugleich beispielhaft, dass der Skandal in modernen Gesellschaften keine gesamtgesellschaftlichen Normen verletzt, sondern ganz im Sinne von Neckel und Hitzler als Konflikt zwischen verschiedenen sozialen Gruppen zu werten ist. Im konkreten Fall standen sich das rechts-konservative Österreich auf der einen und das links-liberale Österreich auf der anderen Seite gegenüber. Das Kuriose an dieser Konstellation ist, dass Bernhard mit Heldenplatz eigentlich keineswegs nur gegen die Rechten zu Felde gezogen ist, sondern „gegen alle“,[136] wie auch A. Millner feststellt:

Der Heldenplatz-Skandal als Politikum ist insofern interessant, als hier ein Bernhardsches Phänomen in Kraft tritt: Bernhards Übertreibungen und Superlative treiben zum Äußersten und führen zur Manifestation tatsächlicher Gesinnungen. Die pauschalen Formulierungen provozieren stark divergierende Reaktionen, da sie in ihrer Paradoxie und Doppelironie alles und nichts bedeuten können. Wer heftig auf die Vorwürfe reagiert, macht sich verdächtig.[137]

Und reagiert haben in erster Linie die Politiker und rechten Kreise, während linke und liberale Bürger und Medien mit der Skandalierung relativ gelassen umgingen. Auf welche von Heldenplatz verletzte Normen lassen diese Reaktionen schließen?

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[136] So heißt es zum Beispiel in Bernhard: Heldenplatz, S. 285: „[…] dieser größenwahnsinnige Republikanismus / und dieser größenwahnsinnige Sozialismus […]“.
[137] Millner: Theater, S. 255.

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