Thomas Bernhard „Heldenplatz“ – Der Skandal | Einleitung

Bügeln ist eine Kunst hat der Professor gesagt das Bügeln wird immer unterschätzt die Bügelkunst ist eine der schönsten Künste[1]

[Frau Zittel über Prof. Josef Schuster]

aber die Sozialisten sind ja keine Sozialisten mehr die Sozialisten heute sind im Grunde nichts anderes als katholische Nationalsozialisten[2]

[Prof. Robert Schuster]

Wie so viele Sätze im Werk von Thomas Bernhard muten diese beiden Aussagen von den Brüdern Josef und Robert Schuster, Figuren aus dem 1988 am Wiener Burgtheater uraufgeführten Theaterstück Heldenplatz, seltsam an. Sind sie ernst gemeint? Je nach Antwort wird man diesen Figuren, die einem weismachen wollen, dass das Bügeln eine der schönsten Künste ist und die Sozialisten keine Sozialisten mehr sind, Humor attestieren oder aber unterstellen, nicht alle Tassen im Schrank zu haben – salopp gesagt! Vielleicht wird man auch nach einem Sinn hinter den Sätzen suchen. Auf jeden Fall wird man zu dem Schluss kommen, dass auch andere Aussagen aus dem Stück mit Vorsicht zu genießen sind. Literarische Sätze unvermittelt auf die Realität zu beziehen verbietet sich bekanntermaßen generell, wie man schon in der Schule lernt. Genau dieses Grundwissen aber haben im Herbst 1988 weite Teile der österreichischen Presse-, Kultur- und Politiklandschaft vermissen lassen, als sie zusammenhanglose Sätze aus Heldenplatz als vollkommen ernst gemeinte Aussagen Bernhards über Österreich und seine Bevölkerung lasen. Das Stück entfachte einen landesweiten Skandal.

Den Stein ins Rollen gebracht hatten Berichte in der Zeitung Wochenpresse und dem Boulevardblatt Neue Kronen Zeitung am 7. Oktober 1988.[3] Letztere betitelte einen Artikel über das Stück, das auf Bernhards Wunsch eigentlich bis zu der Premiere am 4. November geheim gehalten werden sollte, mit der Überschrift:

Bernhards Skandalstück „Heldenplatz“: Die „Krone“ veröffentlicht erstmals Teile des Textes

Darunter folgt größer:

„Österreich, 6,5 Millionen Debile!“

Schon das Prädikat „Skandalstück“ macht unvermittelt deutlich, wie die Kronen Zeitung das Stück bewertet: Als Skandal! Dem Leser wird diese Sichtweise auch im Rest des Artikels „mit dem Holzhammer“ aufgedrängt. Zwei Fotos von Bernhard und Claus Peymann, dem damaligen Direktor des Burgtheaters und Regisseur von Heldenplatz, machen klar, dass diese Provokation in den Augen der Zeitung willentlich erfolgt ist. Sie sind untertitelt mit:

INSZENIERT Österreich-„Beschimpfung“: Peymann

und

„ÖSTERREICHS unmündiges Volk“: Bernhard

Auch in zwei knappen Textabschnitten, die lediglich eine minimale Inhaltsangabe des Stücks enthalten und zu den später oft wiederholten Zitaten hinleiten, wird überdeutlich auf den vermeintlich skandalösen Charakter von Heldenplatz hingewiesen. Das Werk heißt dort ein „brisantes neues Stück“ und ist „Bernhards neue Österreich-Beschimpfung“, die [selbst!] unter den Burgschauspielern „zu heftigen Auseinandersetzungen“ geführt haben soll.[4] Es folgen die unkommentierten Ausschnitte aus dem noch nicht veröffentlichten Text. Die Reaktionen der Leser wohl kalkulierend wählt die Kronen Zeitung solche Zitate aus, die vom Zielpublikum leicht als reale Polemik aus dem Mund Bernhards missverstanden werden können:

Österreich ist […] eine sich selber verhaßte Statisterie von sechseinhalb Millionen Alleingelassenen sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige [sic]

[…] es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddreißig… in Österreich mußt du entweder katholisch oder nationalsozialistisch sein alles andere wird nicht geduldet alles andere wird vernichtet

Aber was diese Leute aus Österreich gemacht haben ist unbeschreiblich eine geist- und kulturlose Kloake die in ganz Europa ihren penetranten Gestank verbreitet […][5]

Diese und viele im Stil gleiche Zitate, die mehrheitlich aus dem Mund der Figur Prof. Robert Schuster stammen, werden in der Folge von vielen weiteren Zeitungen aufgegriffen und so zum Anlass einer mehrwöchigen Debatte über das Wesen des Österreichers an sich, seinen Umgang mit der jüngeren Vergangenheit und die Verwendung von Steuergeldern. Die Skandalgeschichte Thomas Bernhards fand damit ihr finales Kapitel, denn gut drei Monate später, am 12. Februar 1989, starb der Autor.

Diese Arbeit betrachtet den Heldenplatz-Skandal im Lichte der neuesten Skandal-Forschung. Es soll dabei untersucht werden, inwieweit er sich in die Schemata und Modelle der Skandalanalyse einfügen lässt. Die Forschungsliteratur zum Heldenplatz-Skandal hat zwar bereits einen stattlichen Umfang, allerdings verwenden die meisten Beiträge viel Kapazität auf die Darstellung der Ereignisse und gehen auf die Mechanismen des Skandals eher assoziativ bzw. kommentierend ein und weniger mit Bezug auf die Ergebnisse der aktuellen Skandalforschung.[6] Dieser Situation soll hier im zur Verfügung stehenden Rahmen Abhilfe geschaffen werden. Eine relativ umfangreiche theoretische Betrachtung von Skandalen im Allgemeinen und Literaturskandalen im Speziellen in den Kapiteln 1 und 2 soll für dieses Vorhaben die Grundlage schaffen. Auf ihr soll der Heldenplatz-Skandal dann im 3. Kapitel untersucht werden. Ein Resümee (4. Kapitel) fasst die Ergebnisse schließlich noch einmal kurz zusammen.

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[1] Bernhard: Heldenplatz, S. 245.
[2] Ebd., S. 285-286.
[3] Vgl. hierzu und zum Weiteren Schweighofer: Provokation, Wochenpresse, Anonymus: Debile, ebd. und Anonymus: Österreich, Neue Kronen Zeitung.
[4] In Wahrheit war der Grund für diese „heftigen Auseinandersetzungen“, die zu einigen Rollenniederlegungen führten, ein Interview von Claus Peymann mit der ZEIT, das von Teilen des Ensembles als beleidigend empfunden wurde. [Vgl. Bernhard: Heldenplatz, S. 387-388.]
[5] Für eine genauere Betrachtung der skandalösen Sätze in Heldenplatz s. u.
[6] Als Beispiel für diesen freien Umgang mit dem Thema sei hier ein Aufsatz von J. Davis genannt, der den Heldenplatz-Skandal mit Bezug auf Bernhards Werk als „Ansteckung“ beschreibt. [Vgl. Davis: Gift.] Auf die theoretische Skandalforschung Bezug nimmt v. a. Millner: Theater.

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