Interview mit Rüdiger Safranski

Rüdiger Safranski
[© Henry Keuschgarten]

Neulich war ich aus beruflichen Gründen auf der phil.COLOGNE unterwegs. Dort hatte ich die Gelegenheit, den von mir hochgeschätzten Philosophen Rüdiger Safranski nach seinem Auftritt mit Joe Bausch kurz zu interviewen. Da das Interview in der Redaktion leider nur punktuelle Verwendung fand, habe ich mich entschlossen, es hier in seiner Gänze zu veröffentlichen.

Die Veranstaltung, nach der es stattfand, trug den Titel „Woher kommt das Böse“. Rüdiger Safranski hat dieser Frage vor mehr als 15 Jahren ein Buch gewidmet, das mittlerweile zu einem Standardwerk auf diesem Gebiet geworden ist: „Das Böse oder Das Drama der Freiheit“. Wie der Titel schon anklingen lässt, meint Safranski im Grunde, dass das Böse unmittelbare Folge der menschlichen Freiheit ist: Wenn wir uns frei entscheiden können, wie wir handeln, können wir sowohl gut als auch böse handeln. Entscheidend für diesen Gedanken ist nicht, dass wir absolut frei sind, sondern dass wir eine Wahl haben: Wir können uns für oder gegen eine Tat entscheiden. Wäre unser Handeln determiniert, wären wir niemals böse, weil wir nicht verantwortlich für unser Handeln sind.

Von links: Joe Bausch, Wolfram Eilenberger und Rüdiger Safranski auf der phil.COLOGNE [© mp]

Joe Bausch hat sich für die Podiumsdiskussion durch seine langjährige Berufspraxis als Gefängnisarzt empfohlen. Auch er hat ein Buch geschrieben: „Knast“. Darin berichtet er von seinem Alltag mit Schwerverbrechern, mit Leuten also, auf die sich das Prädikat „böse“, zumindest spontan gedacht, gut anwenden lässt. Dass Joe Bausch auch Schauspieler im Kölner „Tatort“ ist, sei er hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt, denn zur Sache tut es nichts (außer natürlich, dass die damit einhergehende Popularität dem Absatz des Buches und der Einladung zum Gespräch dienlich gewesen sein dürfte).

Als Mediziner hat Joe Bausch naturalistisch argumentiert. Er hat das Böse nicht als Phänomen begriffen, das sich aus dem idealistischen Freiheitsgedanken ableiten lässt, sondern als eine bestimmte Polung des Gehirns. Wenn ein Mensch bestimmte Erfahrungen in seinem Leben gemacht hat, hat sein Gehirn entsprechende physikalische Prozesse mitvollzogen, und durch bestimmte auslösende Faktoren, die sich allerdings zur Zeit noch nicht exakt bestimmen lassen, wird dieser Mensch dann zu einem bösen Menschen, sprich zu einem, der sich anders verhält, als es die kollektive Moral verlangt.

Das Interview

MP: Hallo Herr Safranski, schön dass Sie kurz Zeit für mich haben. Beginnen wir mit einer Frage zur phil.COLOGNE: Wie ist Ihr Eindruck dieses neuen Festivals?

Rüdiger Safranski: Ich bin ganz überrascht, wie die Philosophie hier so volle Säle schafft. Wie auch die lit.COLOGNE zeigt, scheint Köln für anspruchsvolle Events ein guter Platz zu sein. Wie man hört, sind ja viele der anderen Veranstaltungen der phil.COLOGNE auch ausverkauft. Das ist wirklich „Chapeau“ und für die Philosophie natürlich toll.

MP: Die Zuschauerzahlen sind tatsächlich sehr gut, das kann ich bestätigen. Aber meinen Sie, dass die Philosophie überhaupt „massentauglich“ ist? Sprich: Wird dem Publikum auf einem Festival wie der phil.COLOGNE – oder auch in Sendungen wie Ihrem Philosophischen Quartett – wirkliche Philosophie geboten oder geht man lediglich mit gewissermaßen seichten Denkanstößen nach Hause?

Rüdiger Safranski: Ich glaube nicht, dass populäre Zugänge zur Philosophie zur Verflachung führen, denn der Punkt ist ja folgender: Es geht nicht darum, über Philosophie zu informieren, sondern dass Gespräche stattfinden, die einen philosophischen Blick haben. Also: Mit Philosophie, nicht über Philosophie! … Mit Philosophie auf wichtige Themen, auf Zeitprobleme blicken – das war auch beim Philosophischen Quartett unser Prinzip. Ich glaube, dass die phil.COLOGNE ein ähnliches Konzept verfolgt. Man bringt einen Philosophen, oder jemanden wie mich, mit jemandem wie Joe Bausch zusammen, der die Erfahrung hat – in diesem Fall mit Gefängnissen. Dadurch wird die Philosophie geerdet.

MP: Haben Sie denn heute von Joe Bauschs eher praktischen Blick auf das Böse profitiert?

Rüdiger Safranski: Ja! Ich habe auch sein Buch gelesen und empfand es für mich, der in Sachen Gefängnis ja ein Außenstehender ist, als eine wirklich bereichernde Perspektive. Vor allem die darin behandelte Normalität von Leuten, die etwas Böses getan haben, hat mich sehr interessiert. Gerne hätte ich diesen Aspekt heute im Gespräch noch vertieft, aber man kann ja leider nicht auf alles detailliert eingehen.

MP: Wo wir bei den verschiedenen Perspektiven sind: Ich fand, bei Joe Bausch kam heute nicht nur oft der Praktiker durch, sondern auch der Naturwissenschaftler.

Rüdiger Safranski: Das ist für mich ein wichtiger Punkt, denn, wie ich es im Gespräch ja auch forciert habe, denke ich, dass es nicht die Sache der Mediziner ist, über das Böse nachzudenken. Denn es ist ja so: Wenn man nicht über Dinge wie die Psyche, das Bewusstsein und die Seele spricht, kommt man gar nicht zum Bösen.

MP: Damit hat das Gespräch eine der aktuellen Debatten der Philosophie angeschnitten.

Rüdiger Safranski: Das finde ich auch.

MP: Eine Frage, die mich vor allem persönlich interessiert: Im Zuge meiner Recherchen für dieses Interview bin ich auf eine Aussage von Ihnen zu Hitler gestoßen. Sie sagten damals, dass die Leute an ihm die „souveräne Boshaftigkeit“ bewundert hätten, dadurch hätte er sie verführt. Mich interessiert, ob Sie aktuell, irgendwo auf der Welt ähnliche Verführer am Werk sehen, in denen diese Form des Bösen steckt.

„Es ist nicht Sache der Mediziner über das Böse nachzudenken!“ [© mp]

Rüdiger Safranski: Irgendwo gibt es sicher welche, aber in unseren Breitengraden zum Glück im Moment nicht. Meiner Meinung nach hat das entscheidend mit den Medien zu tun: Hitler in der Talkshow – da wäre er schnell entzaubert. Figuren wie Hitler konnten nur auftauchen, weil sie sich eine Mischung aus medialer Gegenwärtigkeit – Hitler hat den Rundfunk ja intensiv genutzt – und Unsichtbarkeit bzw. ausgewählte Sichtbarkeit bei großen Ereignissen zu Nutze machen konnten.

MP: Spielt Putin nicht ein ähnliches Spiel mit den Medien?

Rüdiger Safranski: Naja, aber solche „dämonischen Figuren“ wie Hitler werden in den Medien sehr, sehr schnell alltäglich. Sie sind zwar immer präsent, aber eigentlich verbraucht sich das. Die Inflation der Bilder verringert ganz unbeabsichtigt die Gewalt jedes einzelnen Bildes. So können sich Figuren wie Hitler, die dieses finstere Charisma haben, nicht durchsetzen. Das Charisma versendet sich mit der Zeit.

MP: Obwohl es ja durchaus Politiker gibt – ich denke da vor allem an Obama –, die die Medien intensiv nutzen.

Rüdiger Safranski: Das gibt es natürlich, auch im positiven Sinne. Das war ja vielversprechend, wie Obama begann. Aber, was wir jetzt erleben, ist, dass der Apparat letztlich doch stärker ist als die einzelne Figur.

MP: Zum Abschluss vielleicht noch eine provokante Frage: Wann waren Sie selbst einmal böse?

Rüdiger Safranski: Da müssen Sie andere befragen. Man muss allerdings auch darauf achten, dass „böse“ „Bösartigkeit“ bedeutet. Sie fragen also im Grunde nach „richtig böse“. Der Reichtum der Sprache lässt auf diesem Feld ja allerhand Abstufungen vor. „Boshaft“ würden wir zum Beispiel nie mit „böse“ gleichsetzen. Aber „böse“ war auch ich in der Tat schon mal, wofür ich mich auch schäme. Doch das brauche ich jetzt nicht auszuführen.

MP: Ich bedanke mich für das Gespräch.

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3 Gedanken zu „Interview mit Rüdiger Safranski

  1. Und danke für das Teil des Interviews. Ich mag Safranski sehr; das hat mich daran erinnert, dass ich noch mal ein paar Bücher mehr zur Hand nehmen sollte von ihm. Auch „Knast“ steht jetzt auf der Liste. Hast du das denn schon gelesen mittlerweile?

    • (Glaube, Du hast einen Teil Deiner Antwort gelöscht.)

      Hi,

      danke für den Kommentar! „Knast“ habe ich ein wenig in der Buchhandlung gelesen. Geht gut runter und ist sicher keine Geldverschwendung.

  2. Achso, nein, da fehlte nichts. Das „Und“ war nur ein ungünstiger Einstieg. 🙂

    Gut, dann brauch ich jetzt nur noch ein bisschen mehr Zeit zum Lesen. Bin gespannt. Werde darüber berichten, wenn ich’s gelesen habe – auch wenn das jetzt noch eine ganze Weile dauern kann.

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