Nach Schelers Untersuchung der psychischen Kräfte in einem vierstufigen Modell, das in der Intelligenz als höchste Stufe gipfelt, stellt er zu Beginn des nächsten Kapitels in präzisierter Form erneut die Frage, ob dem Menschen eine Sonderstellung zukommt? Der Frage, so wird nun deutlich, liegt das Problem zu Grunde, dass Tiere – allem Anschein nach – über Intelligenz verfügen, also die Eigenschaft besitzen, über die sich der Mensch Jahrtausende lang definiert hat. Im Streit darüber, wie mit dieser Problematik zu verfahren ist, stehen sich nach Scheler im Grunde zwei Positionen gegenüber: Die eine Gruppe leugnet die neue Forschungslage und rettet damit die essentielle Sonderstellung des Menschen durch ein (natur)wissenschaftliches Fehlurteil. Die andere Gruppe billigt Tieren Intelligenz zu und zieht daraus den Schluss, dass der Mensch sich nicht wesentlich vom Tier unterscheiden kann. Anhänger dieser Position argumentieren im Sinne der Evolutionstheorie und sehen zwischen Mensch und Tier nur noch graduelle Unterschiede. Metaphysische Betrachtungen jeglicher Art werden von letzteren dementsprechend abgelehnt.
Scheler weist beide Positionen zurück. Dass er Tieren Intelligenz zubilligt, hat er zwar zuvor deutlich gemacht, aber nun macht er sich daran, ein metaphysisches Weltbild zu zeichnen, das die Sonderstellung des Menschen herausstellt. Das, was den Menschen seiner Ansicht nach von allen anderen Seins-Formen sondert, ist der Besitz von Geist. Dieses Prinzip ist keine weitere Stufe innerhalb der Psyche, sondern steht außerhalb von allem Lebendigen. Der Geist im Scheler’schen Sinne ist
eine echte neue Wesenstatsache, die als solche überhaupt nicht auf die „natürliche Lebensevolution“ zurückgeführt werden kann, sondern, wenn auf etwas, nur auf den obersten einen Grund der Dinge selbst zurückfällt: auf denselben Grund, dessen eine große Manifestation das „Leben“ ist.[1]
Mit der Annahme von Geist steht Scheler nach eigener Aussage in der Tradition der antiken griechischen Philosophen und ihres Vernunft-Begriffes. Scheler entscheidet sich allerdings gegen den Gebrauch des Wortes „Vernunft“ und für das weiter gefasste „Geist“, um neben der Vernunft mit ihrem „‚Ideendenken‘“ auch „‚Anschauung‘ von Urphänomenen und Wesensgehalten“ und „ferner eine bestimmte Klasse volitiver und emotionaler Akte wie Güte, Liebe, Reue, Ehrfurcht, geistige Verwunderung, Seligkeit und Verzweiflung, die freie Entscheidung“[2] mitabzudecken. Scheler betont zum wiederholten Male, dass der Geist kein Teil der Psyche ist, sondern stattdessen innerhalb „endlicher Seinssphären“ in einem „Aktzentrum“[3] erscheint, das er Person nennt.