Thomas Bernhard „Heldenplatz“ – Der Skandal | IV. Resümee

Es hat sich gezeigt, dass der Heldenplatz-Skandal weitgehend mit der zur Verfügung stehenden Skandaltheorie erfasst werden kann. Sighard Neckels Skandal-Triade ermöglicht eine zweckmäßige Benennung der beteiligten Personen und Institutionen, welche sich die tiefer gehenden Analysen zu Nutzen machen können. Diese haben unter anderem gezeigt, dass Heldenplatz selbst eine künstlerische Skandalierung darstellt, wodurch der Skandal um das Stück im Vergleich zu „gewöhnlichen“ Skandalen um eine Dimension erweitert wird. Der Verlauf des Heldenplatz-Skandals wurde von einigen wenigen rechts-konservativen Meinungsführern dominiert, die das Stück und die dafür verantwortlichen Personen als sozialen Missstand bzw. Angriff auf ihre Werte interpretierten. Eine Betrachtung der Argumentation der Skandalierer hat deutlich gemacht, dass der ganze Heldenplatz‑Skandal ein Produkt typischer rechts-konservativer Denk- und Handlungsmuster war, die sich nur unter Berücksichtigung von sozialen und historischen Rahmenbedingungen schlüssig erklären lassen. Die Tatsache, dass bei genauer Betrachtung überhaupt kein Missstand vorlag, da die Anklage Bernhards und Peymanns auf haltlosen Fehleinschätzungen beruhte, beweist, dass Skandale nicht von Fakten ausgehen müssen. Vielmehr ist die Schlüssigkeit in der medialen Argumentation entscheidend, die aus rechter Sicht im Fall des Heldenplatz-Skandals offensichtlich gegeben war.

Durch die Möglichkeit, ein Skandalon herbeizuschreiben, rücken skandalierende Journalisten in die Nähe von kreativ arbeitenden Schriftstellern. Hier liegt eine erste Pointe des Heldenplatz-Skandals, denn man kann überspitzt formulieren, dass „Krone“ und Co. Thomas Bernhard mit seinen eigenen Waffen schlagen wollten, indem sie ihm bestimmte Verfehlungen andichteten. Diese Taktik ging nur solange auf, wie der Text geheim war, und selbst dann nur bedingt, da die Aufführung des Stücks von den zuständigen Stellen nicht untersagt wurde. Gerade weil die rechten Journalisten im Vorfeld der Aufführung so aktiv wurden, ergibt sich eine weitere Pointe, nämlich dass der dadurch losgetretene Skandal eben solche Züge annimmt, wie sie der Gesellschaft in Heldenplatz vorgeworfen werden: nationalsozialistische und totalitäre. Wie erörtert ließen die Reaktionen auf das Stück die nationalistische und antisemitische Gesinnung vieler Journalisten und Politiker erkennen. Darüber hinaus trägt aber auch der Skandal an sich totalitäre Züge, da es den Skandalierern im Prinzip um die Gleichschaltung aller Medien und die Etablierung einer einzigen Sichtweise geht.[152] Die Wirklichkeit hat das Stück also gleich doppelt eingeholt: inhaltlich durch die krasse Wortwahl der Heldenplatz-Gegner sowie formal durch den von dem Stück ausgelösten Skandal. Ob beabsichtigt oder nicht, die Aussagen von Heldenplatz haben damit die Grenzen des Textes gesprengt und sind auf die reale Ebene übergesprungen.[153]

Was sich auf dieser Ebene wohl auch durch das Stück seit dem Jahr 1988 verändert hat, machen die Reaktionen auf Bernhard und Heldenplatz in der Zeit nach dem Skandal deutlich. Ganz im Einklang mit Neuhaus´ Avantgarde-Modell untermauern sie die These, dass Skandale seit der Moderne in das Kunstsystem integriert und ein Erfolgsgarant sind. So ist es nicht erstaunlich, dass das Stück über links-liberale Kreise hinaus nach Abklingen des Skandals zu einem großen Erfolg wurde. Allein in der Direktionszeit Peymanns wurde es am Burgtheater „über 100mal vor etwa 120 000 Zuschauern gespielt“[154]. Das Stück wurde darüber hinaus bei mehreren Gastspielen des Theaters in anderen Städten aufgeführt und 1989 wurde im ORF eine Aufzeichnung von Heldenplatz ausgestrahlt. Entgegen der Befürchtung, das Stück sei aufgrund seines Themas nur für das Wiener Publikum geeignet, war es auch an Theatern im Ausland erfolgreich.[155] Als es 2010 nach Wien zurückkehrte, wurde es am Theater in der Josefstadt gespielt, das als sehr bürgerlich gilt. Bei der Premiere war der Bundespräsident zugegen und klatschte Beifall.[156] Man erkennt daran die veränderten Normen in der österreichischen Gesellschaft: Was gut zwanzig Jahre zuvor noch als Landesverrat gewertet wurde, ist nun im kulturellen Mainstream voll etabliert. Diese Entwicklung konnte selbst Jörg Haider nicht aufhalten, der als Populist die Mehrheitsmeinung stets im Blick haben musste. In einem Interview aus dem Jahre 2000 im Berliner Tagesspiegel erinnert ihn André Müller daran, dass er Thomas Bernhard einst einen „Österreichbeschimpfer“ genannt hat.[157] Nachdem ein anfängliches Dementi nicht verfängt, bewertet Haider den damaligen Skandal ganz neu:

Ja, aber der Thomas Bernhard wurde nicht generell beschimpft. Der war schon gut. Der war der einzige kulturelle Politologe in Österreich. Der hat wirklich wahnsinnig viele gute Vorstellungen und Beiträge geliefert. Sein Stück „Heldenplatz“ ist großartig. Denn da hat er sich sehr kritisch mit dem österreichischen System auseinandergesetzt. Beim Bernhard konnte man am Schluß fast schon glauben, daß er ein politischer Unterstützer unseres Weges ist.[158]

Ob Bernhard allerdings mit diesem Lob einverstanden gewesen wäre, darf stark bezweifelt werden.

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[152] Vgl. Kepplinger: Skandalierung, S. 86-87.
[153] Zur Vermischung von Realität und Fiktion im Werk Bernhards vgl. Steinmann: Bernhard.
[154] Bernhard: Heldenplatz, S. 413.
[155] Für die einzelnen Spielorte s. ebd., S. 413-414.
[156] Vgl. ebd.
[157] Vgl. Müller: Interview, Der Tagesspiegel, 11.6.2000.

[158] Ebd.

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