Thomas Bernhard „Heldenplatz“ – Der Skandal | I.2. Die Skandal-Triade

Skandale hängen, wie die Etymologie zeigt, mit sozialen Normen zusammen. Sie entstehen dann, wenn gegen die Normen verstoßen wird bzw. wenn behauptet wird, es sei gegen die Normen verstoßen worden.[9] Da sich insbesondere die modernen westlichen Gesellschaften in verschiedene Felder gliedern, deren spezifische Normen einander nicht zwangsläufig entsprechen müssen, ist allerdings der Normbruch nicht möglich. Aus dieser Pluralität von Normen folgt eine starke Heterogenität von Skandalen. Trotzdem lässt sich hinter allen Skandalen ein typisches Schema erkennen, die Skandal-Triade:

Denn schiebt man nur die jeweils anderen Kulissen des Skandals zur Seite, entkleidet man die Darsteller ihrer historischen Kostüme, bleiben immer dieselben Aktoren auf der Bühne zurück: der Skandalierte (der einer Verfehlung von öffentlichem Interesse öffentlich bezichtigt wird), der Skandalierer (einer, der diese Verfehlung öffentlich denunziert) sowie ein, oder besser: mehrere Dritte, denen über das, was zum Skandal geworden ist, berichtet wird und die daraufhin eine wie auch immer geartete Reaktion zeigen.[10]

Sighard Neckels grundlegende Abstraktion von Skandalen, in der Forschung mittlerweile Konsens,[11] zerlegt den Skandal in drei Parteien: Den Skandalierten, den Skandalierer und eine Gruppe Dritter. Wichtig ist, zu betonen, dass nicht von der Existenz einer Verfehlung gesprochen wird, sondern lediglich von einer öffentlichen Bezichtigung. Wichtig ist darüber hinaus, dass die Skandal-Triade keinen statischen Zustand beschreibt, sondern den Akt der Skandalierung, der aus Sicht des Skandalierers entweder erfolgreich sein kann oder nicht. Nur wenn die Öffentlichkeit Empörung zeigt, ist die Skandalierung gelungen und man kann von einem Skandal sprechen.[12] Es ist daher für die Entstehung eines Skandals nicht unerheblich, wie die Reaktion der Dritten ausfällt. Neckels Analyse sollte daher wie von R. Hitzler präzisiert werden:

Und der Skandal soll nun als eben jener Vorgang gelten, in dem es einem Akteur (dem Skandalierer) gelingt, durch die Thematisierung eines Ereignisses oder eines Sachverhalts im Zusammenhang mit einem Akteur (dem Skandalierten) die Erwartungen eines anderen Akteurs (des Skandalpublikums) zu irritieren.[13]

Obwohl beide Definitionen deutlich machen, dass der Skandal kein punktuelles Ereignis ist, sondern ein Prozess, bei dem viele Akteure mitwirken, kann die zeitliche Abfolge der Handlungen allein mit der Skandal-Triade nicht erfasst werden. In der Forschung hat man deshalb ergänzende Analysen durchgeführt.[14]

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[9] Der Normbruch kann auch als „Ärgernis“, „Fehlverhalten“ oder „Missstand“ paraphrasiert werden.
[10] Neckel: Stellhölzchen, S. 58.
[11] Vgl. Bulkow: Skandalforschung, S. 11.
[12] Vgl. Kepplinger: Skandalierung, S. 7.
[13] Hitzler: Ansichtssache, S. 334.
[14] Vgl. Bulkow: Skandalforschung, S. 12.

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