Thomas Bernhard „Heldenplatz“ – Der Skandal | III.4.b) Thematisierung der Vergangenheit

Dies zu den Vorwürfen der „Nestbeschmutzung“ und „Steuergeldverschwendung“, an denen sich allgemeine Normen des rechts-konservativen Denkens im Österreich jener Jahre ablesen lassen.[143] Der zweite Normkomplex, der durch Heldenplatz angegriffen wird, bezieht sich auf den Umgang der Österreicher mit der eigenen Rolle während des Dritten Reiches. Durch die Sichtweise, das erste Opfer Hitlers gewesen zu sein, wurde jede Schuld an den Nazi-Verbrechen abgestritten. Wer eine entgegengesetzte Meinung äußerte, setzte sich massiven Anfeindungen von rechts aus. Es herrschte also ein „Tabu der Vergangenheitsbewältigung“[144]: Über die aktive Beteiligung der Österreicher am Nazi-Regime durfte nicht gesprochen werden. Während der Waldheim-Affäre war diese Norm das erste Mal beschädigt worden und bis zum Heldenplatz-Skandal folgten, wie ausgeführt, weitere Angriffe. Das Stück setzt diese Linie fort, wobei die Figuren entsprechende Vorwürfe so direkt und überzogen äußern, dass die Attacken ins Absurde kippen (s. o.).

Subtiler wird auf das Thema durch die Tatsache Bezug genommen, dass die Hauptpersonen von Heldenplatz Juden sind, die nicht den gängigen Darstellungsmustern der Zeit nach `45 entsprechen.[145] Die beiden gängigen Typen des Juden in der Nachkriegsliteratur sind das schuldlose Opfer, mit dem der Rezipient Mitleid empfinden soll, und der den negativen Klischees entsprechende Jude, der entweder nur provozieren oder aber die Klischees aufdecken soll.[146] Die Juden in Heldenplatz – allen voran die skandalierenden Brüder Josef und Robert – brechen mit dieser Norm, denn sie sind unsympathische Figuren, die Mitleid und Identifikation erschweren. Den gängigen Klischees entsprechen sie nicht. Vor allem der verstorbene Josef wird von Bernhard als „Tyrann, Sexist und sadistischer Zwangscharakter“[147] – alles Eigenschaften, die oft dem typischen Nazi angelastet werden – gezeichnet, dessen Beziehungen zu Familie und Umfeld höchst gestört sind.[148]

Dass Bernhard mit seinen jüdischen Figuren und der Thematisierung der braunen Vergangenheit einige wunde Punkte getroffen hat, zeigt sich deutlich an den Kommentaren in der Presse, die einen latenten Antisemitismus zum Vorschein bringen – allerdings nur zwischen den Zeilen, denn „salonfähig“ ist der Antisemitismus im Österreich der späten achtziger Jahre trotz seiner weiten unterschwelligen Ausbreitung im politischen Diskurs nicht.[149] In der paradoxen Befürchtung einiger Journalisten, Bernhard könnte durch seine negativen jüdischen Figuren eben dem Antisemitismus Vorschub leisten, wird deutlich, dass diese ihn im Volk [verständlicherweise?] verankert sehen:

Indem der Autor seine ganz persönliche manische Österreichattacke […] einem jüdischen Heimkehrer in den Mund legt, so könnte dies – weil Volk und Regierung verallgemeinernd als zutiefst mies apostrophiert werden – zu einer Anstachelung antisemitischer Gefühle beitragen, die wir ja doch nicht wollen.[150]

Welche Haken die rechte Presse schlagen muss, um sich das Thema vom Leib zu halten, zeigt sich in der Kronen Zeitung auf absurdeste Weise. Ihr Herausgeber Hans Dichand, alias „Cato“, setzt den jüdischen Schriftsteller Elias Canetti als Marionette ein, um ihn ein Plädoyer gegen Heldenplatz halten zu lassen:

[…] zitieren wir Elias Canetti, einen jüdischen Denker unserer Zeit, dessen Weisheit im Höllenfeuer der NS-Verfolgung gestählt worden ist. Canetti meint: „Versuche nicht zu urteilen. Es gibt nichts Ekligeres als die Verurteilung. Sie ist immer so oder so. Und sie ist immer falsch. Wer weiß denn genug, um irgendwen zu verurteilen.“[151]

Hier, gegen Ende des Skandals, werden die wahren Sachverhalte nun völlig verzerrt: Die Thematisierung der Beteiligung der Österreicher an den Nazi-Verbrechen soll gerade von den Opfern nicht gewollt werden.

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[143] Für eine Besprechung der Österreichkritik in Thomas Bernhards Werk in Hinblick auf dessen eigene politische Haltung vgl. Sorg: Kunst.
[144] Wodak: Antisemitismus, S. 185.
[145] Vgl. zu diesem Abschnitt Reitzenstein: Jude.
[146] Ebd., S. 154-155.
[147] Ebd., S. 153.
[148] In diesen Kollusionen – d. s. Zweierbeziehungen, die nur deswegen eingegangen werden, weil beide Partner komplementäre psychische Probleme aufweisen – sieht Reitzenstein eine Spiegelung der noch nicht aufgearbeiteten österreichischen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. [Vgl. ebd., S. 156-160.] Auch I. Götz von Olenhusen untersucht Heldenplatz in Hinblick auf das Verhältnis der Österreicher zum Dritten Reich. [Vgl. Götz von Olenhusen: Nazisuppe.] Sie sieht das Stück gar als „herausragenden Beitrag zur Analyse der gestörten individuellen und kollektiven Erinnerung an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen“ [ebd., S. 231.]. Ihrer Ansicht nach verweigerten sich die Österreicher der Erinnerung an die eigene Vergangenheit. Statt die Wirklichkeit zu thematisieren, ergingen sie sich in leeren Ritualen und unter dem Druck von „political correctness“ geäußerten hohlen Phrasen [ebd., S. 239.]. Es herrschte demnach zur Zeit des Heldenplatz-Skandal auch eine Norm des Nichterinnerns, mit der u. a. durch das Stück gebrochen wurde.
[149] Vgl. Wodak: Antisemitismus, S. 184.
[150] Tschulik: Bernhard, Wiener Zeitung, 14.10.1988. [Zitiert nach Bentz: Dichtung, S. 85.]
[151] Dichand: Wahrheit, Neue Kronen Zeitung, 5.11.1988.

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